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Neues aus Jacobeni

Im weißen Transit ging´s an einem frühen Dienstagmorgen im August in Köditz los auf eine Tour in den Südosten Europas. Das Ziel: Die Sozialstation in Jacobeni, die wir seit einigen Jahren in unserem Projekt Rumänienhilfe unterstützen. Außerdem wollten wir natürlich ein Gefühl für das Land entwickeln und haben uns die Gegend zwischen Kronstadt, Schässburg und Hermannstadt genauer angesehen.

Zunächst erwies sich schon der Grenzübertritt nach Rumänien als eine Herausforderung, übertritt man hier doch immer noch eine innereuropäische Grenze, an der genaue Kontrollen durchgeführt werden. Einmal auf den rumänischen Straßen angekommen, mussten wir uns noch einen ganzen Tag lang auf siebenbürgischen Wegen mit Bodenwellen und Schlaglochpisten vorarbeiten, bis wir am späten Abend endlich im schönen Kronstadt einliefen.

Kronstadt
Die Altstadt am Karpatenbogen mit evangelischer Tradition, der großen schwarzen Kirche und den mittelalterlichen Stadtmauern erkundeten wir an unserem ersten richtigen Rumänientag. Natürlich ließen wir uns auch einen Blick vom Hausberg nicht entgehen, wohin wir mit einer Gondel fuhren – im Wald kämen angeblich Bären bis an die Stadtgrenze heran. Da trauten wir uns dann doch nicht zu Fuß.

Kirchenburgen, Dracula und orthodoxe Klöster
Kirchenburgen, das Schloss Darculas sowie ein rumänisch-orthodoxes Kloster am Fuße des Fagarasch-Gebirges besuchten wir am kommenden Tag. Einen besonderen Höhepunkt gab es noch am späten Nachmittag mit dem Besuch des Ortes Cincu (Groß-Schenk). Dort war das ehemalige Kinderheim, das heute nicht mehr existiert. Auf einer verwitterten Spenderwand an der Schule erkannten wir viele Namen deutscher Unterstützergruppen, u.a. auch die Gemeinde Lichtenstein, die unsere Anlaufstelle für das Projekt war und bis heute ist.

Auf dem Land
Das Wochenende verbrachten wir auf dem Land. Kein Motorengeräusch war zu hören; kein Licht, das den Himmel erhellte. Allenfalls bellende Hunde und Pferdegetrappel störten ein wenig die Nachtruhe und natürlich der Hahn am Morgen. Nur eine einzelne Schotterstraße führte zu diesem klassischen siebenbürgischen Dörfchen Veseud mit Kirchenburg, deutscher Siedlung, rumänischem Dorf und Romasiedlung am Rande.

Etwas größer, aber in der Grundanlage nicht viel anders ist Jacobeni. Die Sozialstation wird von drei Personen aus dem Ort geleitet, die arme Familien mit Kindern unterstützen. Wesentliche Herausforderungen für die Verantwortlichen waren in den vergangenen Jahren der Umbau eines alten siebenbürgischen Hofes in ein funktionsfähiges Hilfszentrum. Hier ist man auch noch lange nicht am Ende mit den Arbeiten. Neben den Räumen, in denen man die verschiedensten Gegenstände für den Haushalt anbietet, soll auch ein Gruppenraum für die Arbeit mit Kindern und Erwachsenen entstehen. Aus Köditz brachten wir dieses mal in unserem Bus Windeln, Wund- und Heilsalbe sowie Verbandsmaterial mit.

In Jacobeni
Mit Hilfestellung durch die Sozialstation sind bereits einige Familien am Ortsrand in die Lage versetzt worden, neue, dichte Häuser zu bauen, die einem Starkregen oder dem Winter besser standhalten. Dabei darf man sich freilich keinen Luxus vorstellen, denn fließendes Wasser oder eine ordentliche Stromversorgung nach unseren Maßstäben ist auch bei den Neubauten kein Standard. Auch die drei Räume mit Dach für eine siebenköpfige Familie sind weitab von hiesigem Komfort.

Die Sozialstation
Dennoch ist´s ein Anfang für die, die gar nichts haben. Die Sozialstation achtet darauf, dass die Familien auch selbst mitarbeiten und sich in der Arbeit der Sozialstation einbringen. Ohne diese Mitarbeit wäre der Hausbau nicht zu leisten. Allerdings auch nicht ohne die handwerklichen Fertigkeiten eines Mitarbeiters der Sozialstation. Fachgerechte Bauten nach unserem Standard darf man freilich nicht erwarten. Man wird genügsam, wenn man sieht, in welchen Verhältnissen hier Menschen leben.

Dörfer wie am Reißbrett
Die Kirchenburg von Jacobeni ist ebenso massiv wie viele andere solche Anlagen in der Gegend zwischen Kronstadt und Hermannstadt. Im Gegensatz zu unserer kleinen Wehrkirche aus dem 30-jährigen Krieg, wurden hier weitaus massivere Burganlagen errichtet, die zur Verteidigung vor den eindringenden Gefahren aus dem Osten und Süden im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit verstärkt wurden. In Birthälm kann man das in besonderer Weise sehen. Auch in Deutsch-Weißkirch, einem ganzen Museumsdorf, sieht man noch die ursprüngliche dörfliche Anlage einer siebenbürgischen Siedlung. Freilich sind die Höfe bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder modernisiert worden, aber die Grundstücke und die dörfliche Anlage blieb über Jahrhunderte hin diesselbe. Mit dem Wegzug der Siebenbürger Sachsen sind auch die Kirchenburgen mehr und mehr dem Verfall preis gegeben. Daneben wurden oft neue, moderne rumänisch-orthodoxe Kirchen für die jetzt dort lebende rumänische Bevölkerung errichtet.

Kontraste Stadt-Land
Auffällig ist der Kontrast zwischen Land und Stadt. Die oft einfachen, ärmlichen Zustände auf dem Land sind mit dem pulsierenden, touristisch erschlossenen Leben in den Städten nicht zu vergleichen. Hermannstadt ist dafür das beste Beispiel. Aber auch Timisoara, die Stadt im westlichen Banat mit ihren zahlreichen Jugendstilbauten und großen Plätzen, schickt sich an, sich bis zum übernächsten Sommer herauszuputzen. Dann nämlich wird sie eine der Kulturhauptstädte Europas sein.

So endete unsere Reise durch das sommerlich heiße Rumänien mit widersprüchlichen Erfahrungen. Hier der europäische Standard und Reichtum, dort die Armut und das Gefühl, in einer abgehängten Region ohne Zukunft unterwegs zu sein – und das alles auf engstem Raum nebeneinander.

Die Herausforderungen, die Armut vor Ort zu lindern, sind nach wie vor vorhanden. Es bleibt eine Aufgabe im gemeinsamen Europa, an der wir mit kleinen Beiträgen weiter mithelfen sollten.

Michael Grell, Pfr.