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Wölbattendorfer Empore

Einige Höfe des Dorfes Wölbattendorf hatten sich schon nach dem dreißigjährigen Krieg an der Ausstattung der Köditzer Kirche beteiligt. Durch Holzlieferungen hatten sie z.B. den Bau der Emporen mit ermöglicht. Auch die Bauern aus Brunn hatten sich hier beteiligt. Außerdem gab es eine Reihe von Reichnissen, die der Köditzer Pfarrer und der Lehrer erhielten. Sie bestanden in Abgaben von Gerste, Flachs und Brot. Dafür durften die Wölbattendorfer, da sie selbst keine Kirche hatten, die Köditzer Kirche und Schule mit benutzen.

 

Reichnisse waren Anlass für den Streit

Im Jahr 1776/77 kam es über diese Reichnisse und die Leistungen der Wölbattendorfer für die Kirche in Köditz zu einem handfesten Streit mit dem Pfarrer Johann Georg Hagen. Sein Vater Christian Hagen war im Jahr 1776 nach über 40-jähriger Tätigkeit in Köditz verstorben. Nun oblagen ihm die Amtsgeschäfte der Pfarrei. Der Streit entzündete sich im Gotteshaus während eines Gottesdienstes und schaukelte sich in mehreren Wochen hoch, so dass es letztlich der Intervention des Superintendenten bedurfte, um die streitenden Parteien wieder miteinander zu versöhnen.

 

Der Gottesdienst im 18. Jahrhundert

Wie begann es? – Die jungen Frauen saßen gewöhnlich auf einer kleinen Empore über der Sakristei. In diese versuchten Köditzer und Wölbattendorfer Burschen während des Gottesdienstes und wohl auch während der Predigt des Pfarrers hinein zu drängen. Nun muss man wissen, dass es im 17. und auch noch bis weit ins 18. Jh. hinein durchaus üblich war, dass der Gottesdienst nicht in voller Länge besucht wurde. Der Gottesdienst war weniger auf Besinnlichkeit ausgerichtet als vielmehr die zentrale Gemeindeversammlung des Ortes in der Woche. Er hieß auch noch nicht Gottesdienst, sondern „Ceremonie“ oder „öffentliche Versammlung“. Die Kanzel war neben der Predigt der Ort für öffentliche Bekanntmachungen und politische Geschäfte. Die Predigten konnten in der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg eine Dauer von bis zu zwei Stunden annehmen. So ging man zur Kirche und parallel dazu auch ins Wirtshaus. Man kam aus dem Wirtshaus und schlich sich auf die Empore. Manche waren dabei auch etwas lauter – dann konnte es zu Konflikten kommen. Man unterhielt sich draußen am Friedhof, der innerhalb der Mauern lag und dahinter. Man erledigte auch noch das eine oder andere Handelsgeschäft. Dennoch war die Versammlung der Christen eine Pflichtveranstaltung. Wer Bescheid wissen wollte, musste am Sonntagmorgen dabei gewesen sein. Jede Familie von Rang hatte ihren festen und bezahlten Sitzplatz, der in der Kirchenstuhlordnung festgelegt war. So konnte kontrolliert werden, wer am Sonntagmorgen anwesend war. In der Kirche ging es zeitweise laut zu und es wurde auch miteinander geredet. Freilich war das nicht überall und immer so und es sollte auch nicht so sein. Es gab sicher auch die konzentrierte Ruhe, mit der man auf das Wort Gottes hörte. (In Hof wurden im Jahr 1786 die Weihnachts- und Ostermetten abgeschafft, die bis dahin nachts um 3 Uhr stattgefunden hatten. Als Grund wurde von den Geistlichen angegeben, dass die vorwiegend jungen Leute teils betrunken von den Gasthäusern in die Kirche kämen und sich bspw. in der Michaeliskirche auf die unbeleuchteten Emporen zurückzogen und von dort aus die Andacht störten. (Vgl. Dietlein, Chronik der Stadt Hof IV, 372f.)). 

 

Tumult auf der Wölbattendorfer Empore

Dass dies alles so ähnlich auch in Köditz gewesen sein mag, legt die Begebenheit um die Emporenplätze nahe. Einige Wölbattendorfer und Köditzer Burschen kamen zu spät und entfachten auf dem „Empörlein“ öfters einen Tumult, so daß „ich“, schreibt Pfarrer Hagen, „in meiner Sakristey gemeinet, ob breche, dasselbige völlig herein.“ Die Burschen ließen sich durch den Gotteshausvorsteher Vollerth und andere Gemeindeglieder nicht ermahnen. Da ergriff der Pfarrer das Wort und wies darauf hin, das „die Kirche ein Bethaus wäre, und wenn sie nicht wegen des Betens, sondern des Drängens und Plauderns wegen in die Kirche kämen, so möchten sie künftig lieber draußen bleiben, sie möchten Pfarrkinder sein oder nicht, damit nicht andre in ihrer Andacht gestört würden, sondern ruhig ihrem Gott dienen könnten.“ Pfarrer Hagen berichtet, dass ihm diese Worte sogleich von den Wölbattendorfer Burschen übel genommen wurden. Sie sagten es zu Hause ihren Eltern und diese kamen umgehend mit „größtem Ungestüm“ dem Pfarrer ins Haus gelaufen mit der Drohung, sie würden künftig keinen Heiligen Abend mehr halten. Mit dem Heiligen Abend wurde eines der Reichnisse bezeichnet, das die Bauern des Dorfes an Pfarrer und Lehrer schuldig waren.

 

Der Streit spitzt sich zu

Die Wölbattendorfer forderten zudem, dass kein Köditzer mehr ihre Empore betreten darf. Pfarrer Hagen versuchte es mit Bier und Bewirtung, um die Wogen zu glätten. In dem Gespräch soll er darauf hingewiesen haben, dass die Wölbattendorfer nur rechtzeitig kommen müssten, da wären die Plätze frei. Sie aber kämen erst kurz vor der Predigt aus dem Wirtshaus. Der Pfarrer macht sogar noch das Angebot, zur Empore eine Tür mit Schloss anzubringen, doch auch darauf gingen die Wölbattendorfer nicht ein. Es blieb einige Wochen ruhig. Die Wölbattendorfer zogen sich in ihre Empore zurück. Doch der Streit schwelte anscheinend weiter. Einige Wochen später drängelte ein junger Wölbattendörfer (wahrscheinlich der Sohn des Bürgermeisters) „dergestalt, dass das Krächzen und Knistern den Gesang verstummen ließ“. Der Pfarrer vermahnte den Unruhestifter während des Gottesdienstes, doch dieser ließ sich dadurch nicht beindrucken und „lachte dem Pfarrer forsch ins Angesicht.“, wies auf den „heiligen Abend“ hin und betonte, „dass sie den Pfarrer und den Schulmeister mit ernähren“ müssten. Pfarrer Hagen klagte dem Superintendenten seine ganze Unzufriedenheit mit der Situation einzelner Wölbattendorfer Bürger. Dass die Verstimmung aber schon weiter zurückreichte, zeigt die in diesem Zusammenhang vom Pfarrer geschilderte Reaktion auf die Einladung zur Beerdigung seines Vaters. „Wie böse die Wölbattendorfer zum Teil sind, das kann man daher sehen, als ich sie zur Leiche meines sel. Vaters als Kirchgeste einladen ließ, so ließen mir einige zur Antwort geben, diese Leiche lohnt es nicht, dass man nach Köditz gelange, welches mich und meine Mutter sehr kränkte.“ Und bezüglich des Heiligen Abends berichtet der Pfarrer, dass dieser in den letzten Jahren nur mit größtem Widerwillen und allerlei Lästerungen abgehalten wurde. „Einigen gehet die Kirche zu spät, anderen zu bald an, wieder anderen ist die Predigt zu lang, jede alte Frau weiß etwas anderes zu bemängeln, man muss sich viel Grobheit von den groben Bauern auf dem Lande antun lassen.“ Die Wölbattendorfer Bauern verweigerten denn auch im Jahr 1777 den Heiligen Abend und schickten den vom Pfarrer gesandten Boten unverrichteter Dinge zurück, nachdem sie ihn beim Richter (=Bürgermeister) vor allen Anwesenden ausgelacht hatten.

 

Ausgang unbekannt

Wie die Geschichte ausging, ist im Pfarrarchiv nicht berichtet. Man wird aber davon ausgehen können, dass der Superintendent zur Klärung beitragen konnte. Ob und wie lange die Wölbattendorfer sich der Köditzer Kirche weiter verpflichtet fühlten, dem wäre in den alten Akten und Büchern noch nachzugehen. Konfirmanden aus Wölbattendorf gibt es jedenfalls im 19. Jh. (ab 1832) keine. Die Reichnisse der Gemeinde Wölbattendorf für die Pfarrstiftung in Köditz, also den Pfarrer und den Lehrer, blieben allerdings offiziell bis zum 31. August 1923 bestehen. Dass sie wenig geliebt waren, steht noch dort in der Chronik, wenn von der „Ablösung der vielfach perhorreszierten Reichnisse“ die Rede ist. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Ablösesumme der Reichnisse, die Anlass für großen Streit gab, in der Papiergeldinflation des Jahres 1923 beinahe wertlos wurde.