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Glockenläuter

Im Mai 1949 ereignete sich in Köditz eine Streitsache, die noch heute im Gedächtnis vieler älterer Dorfbewohner präsent ist und den Köditzern den Namen „Gloggenleidder“ eingebracht hat. Dabei war der Auslöser nicht so sehr eine Streitsache zwischen Einheimischen und Flüchtlingen, sondern vielmehr eine zwischen der Dorfverwaltung und den mittleren Behörden, die damals durch das Landratsamt und das Kreiswohnungsamt repräsentiert wurden. Natürlich stand, nachdem der Stein einmal ins Rollen gebracht war, auch das „Flüchtlingsproblem“ in der Mitte des Gefechts.

Die Sache ereignete sich so: In Köditz befand sich seit längerer Zeit eine Baracke, die von drei Flüchtlingsfamilien bewohnt war. Zwei Familien konnten in einem anderen Ort untergebracht werden, da Köditz mit einem Flüchtlingsanteil von 40 % zu den belegtesten Dörfern im Landkreis gehörte. Die letzte in der Baracke untergebrachte achtköpfige Familie weigerte sich jedoch den Ort zu verlassen.

Zur gleichen Zeit war die Gemeinde auf der Suche nach einer Wohnung für den damaligen Gemeindediener. Nachdem sein Wohnungsgesuch jedes Mal vom Kreiswohnungsamt, das damals für Wohnungsvergaben zuständig war, abgelehnt worden war, wies die Gemeinde ihm ein in ihrem Besitz befindliches altes Haus mit zwei Räumen zu, das er sich mit großen materiellen Opfern wohnlich einrichtete. Nach dessen Fertigstellung sollte gerade dieses Haus auf Anweisung des Kreiswohnungsamtes und mit Einverständnis der Regierung der erwähnten Flüchtlingsfamilie zugewiesen werden, da die bisher bewohnte Baracke künftig für heimatlose Heimkehrer vorgesehen war. Als sich der Gemeindediener verständlicherweise weigerte, diese Anordnung zu befolgen, ordnete das Amt die Zwangsräumung an.

Ein Beamter, der sich von der Durchführung des Befehls überzeugen wollte, wurde durch etliche Personen an der Ausführung seines Auftrages gehindert. Daraufhin begab er sich abermals nach Köditz in Begleitung zweier Polizeibeamter. Bei deren Eintreffen läuteten plötzlich die Kirchenglocken, worauf sich über 200 Einwohner versammelten und den Auftrag des Beamten erneut verhinderten.

Aufgrund dieser Vorfälle hatten sich die Verhältnisse derart zugespitzt, dass noch am nächsten Tag eine Flüchtlingsabordnung beim Hofer Landrat erschien und erklärte, in Köditz würde ein Zustand absoluter Rechtlosigkeit herrschen. Eine Abhilfe wäre dringend notwendig.

Der Landrat erstattete daraufhin gegen einige Köditzer Einwohner, darunter auch die Frau des Gemeindedieners, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen Landfriedensbruch und Beamtennötigung. Der gesamte Vorfall löste in Flüchtlingskreisen einen Sturm der Entrüstung aus, der in einigen Briefen an den damaligen Pfarrer Obermeyer deutlich wurde und ihn in Erklärungsnöte brachte. Durch zahlreiche Artikel in der Frankenpost, der Fränkischen Presse und den Nürnberger Nachrichten, die diesen Vorfall zum Teil unrichtig wiedergaben, wurde der Eindruck entfacht, in Köditz würden die Flüchtlinge mit Hilfe des kirchlichen Geläutes aus dem Dorf vertrieben.

Derartige Veröffentlichungen und anonyme Briefe veranlassten den Pfarrer zu einer Stellungnahme, in der er erklärte, dass die Glocken der Kirche ohne Wissen und ohne Einwilligung des Pfarramtsvorstandes und ohne Zutun des Kirchendieners geläutet worden seien. Zu den Glocken hätte auch der Gemeindediener Zutritt, dessen Auftrag es war, die Turmuhr als Eigentum der politischen Gemeinde aufzuziehen. Der Kirchenvorstand hatte sich sofort nach Bekanntwerden des Vorfalls schärfstens gegen den Missbrauch verwahrt. (Siehe auch Seiten 112-122).

Im darauf folgenden Jahr kam es vor dem Hofer Gericht zu einer Verhandlung, bei der die Frau des Gemeindedieners neben vier weiteren Einwohnern vor Gericht stand. Der Richter sprach jedoch die Angeklagten frei und erklärte in seiner Urteilsbegründung, dass man das Läuten der Glocken als Alarmgeläut ansehen müsse und es aus diesem Grund als Notwehr betrachtet werden könne. Das Wohnungsamt bestand jedoch weiterhin auf der Räumung, der der Gemeindediener schließlich nachkommen musste.

Dieser Vorfall fand damit sein Ende und brachte den Köditzer Einwohnern im Volksmund den Spitznamen
„Gloggnleidder“ ein, der auch heute noch bei Stammtischdiskussionen mit den Einwohnern umliegender Ortschaften seine Verwendung findet. Im Rahmen einer Bürgerversammlung, die der Landrat und das Flüchtlingsamt durchgeführt hatten, gelang es dem Ortsgeistlichen, die Wogen zu glätten und das Verhältnis der Dorfbewohner zu ihren heimatvertriebenen Nachbarn wurde zusehends besser.