
Wovon leben wir? Wo sind unsere Quellen? – Bei dir, Herr, ist die Quelle des Lebens. Predigt zur Jubelkonfirmation 2022 in unserer St. Leonhardkirche.
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PredigtÂ
Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde, liebe Jubilare,
erinnern Sie sich noch an den Tag, an dem Sie als junge Frauen und Männer hier durch den Mittelgang geschritten sind? Manch einer mag daran noch eine Erinnerung haben, wie neu das für ihn selbst war und dass die Eltern voller Stolz dastanden, auch mit ein bisschen Wehmut, aber doch innerlich beglückt.
Ganz früher endete die Schulzeit und die Lehrzeit begann. Bei den jüngeren Jubilaren war diese Schwelle nicht mehr ganz so augenfällig spürbar. Aber es war doch so, dass man der Kindheit ade sagen musste. Daher sind die allermeisten Erinnerungen die Jubilare gerne auffrischen eher die aus der Unterrichtszeit, den Streichen mit dem Pfarrer der Lehrer, einer Freizeit, einem Ausflug, schönen Dingen oder lustigen Begebenheiten, die man sich Jahrzehnte danach noch gerne erzählt.
Heute sind Sie zurückgekehrt in Ihre St. Leonhardkirche, an den Ort, an dem Sie konfirmiert und viele von Ihnen auch getauft wurden. Dankbarkeit erfüllt uns über die gelungenen Wege, die unser Leben nahm. Dankbarkeit spiegelt sich auch in den Worten des Wochenpsalmes für den 2. Sonntag nach Trinitatis. Im Psalm 36 heißt es:
Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, so weite die Wolken gehen.
Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes
und dein Recht wie die große Tiefe.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
Wie köstlich ist deine Güte, Gott,
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel
Zuflucht haben!
Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses,
und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.
(Ps 36,6-10)
Liebe Gemeinde,
angesichts solch überschwänglicher Worte erinnern wir die vielen schönen Dinge, die unser Leben reich gemacht haben und es noch machen. Denn es gibt wahrlich auch die Schattenseiten, die ein Leben bereithält. Wo sind unsere Quellen des Lebens, wenn es mal nicht so läuft, wie wir es uns vorgestellt haben? Wo ist der Lebensmut, wenn die Angst vor der nächsten schweren Hürde im Beruf oder einer Operation hochkommt? Da brauchen wir die Erinnerung daran, was uns hält und einen neuen Lebensantrieb gibt. Immer wieder einmal fragen wir uns das in unterschiedlichen Lebenslagen: Was sind die Quellen unseres Lebens? Familie, Freunde, gute Gemeinschaft im nahen Umfeld, gutes Tun für andere, Zufriedenheit im Beruf. Ja, das sind die wirklich wichtigen Dinge, die uns halten und in denen deutlich wird: Gott hält unser Leben. Er macht es immer wieder neu. Wie aus einer Quelle sprudelt dieses neue Leben immer wieder aus ihm heraus.
Doch manchmal haben wir den Eindruck, dass diese Quelle am versiegen ist, dass da nichts Neues nachkommt. Der Beter des 36. Psalms weiß darum. Er redet von himmelschreiender Ungerechtigkeit, die er am eigenen Leib erlebt hat. Er weiß von Schaden zu sprechen, den andere ihm zugefügt haben, für den er aber selbst nichts konnte. Er spricht offen von der Lüge, die ihm das Leben schwer gemacht hat. Das eine oder andere belastet auch unser Leben und wir könnten darüber ins Erzählen kommen, ein Fass aufmachen. Es ist manchmal schwer, das einfach beiseite zu schieben und den dankbaren Beter zu geben. So geht es auch dem Psalmist. Er setzt die wohltönenden Verse unseres Predigttextes den schlimmen Lebenserfahrungen entgegen und setzt damit seine ganze Hoffnung auf Gott. Er setzt seine Hoffnung auf den Gott, dessen Gnade und Güte die ganze Welt überspannt, und sei sie auch noch so schlecht. Gottes Güte reicht so weit der Himmel ist und soweit die Wolken gehen. Seine Gerechtigkeit steht unumstößlich fest wie die Berge. Sein Recht ist so lichtklar, dass sich niemand in der dunklen Tiefe verstecken und sein eigenes vernichtendes Recht zur Geltung bringen könnte.
Unter Gottes Schutz ist Zuflucht. Hier ist ein Ort, an den wir kommen können. Unsere Kirchen sind solche Orte, auch unsere St. Leonhardkirche. Sie war es von alters her als Wehrkirche im wahrsten Sinne des Wortes, ein Ort der Zuflucht, aber auch der inneren Einkehr. Noch heute lassen junge Menschen von unserem kleinen, heimeligen Kirchenraum begeistern, wenn sie etwa wie gestern zur Taufe mit ihren Kindern hier hereinkommen. Oder wenn sie hierherkommen, um sich in der Trauer trösten zu lassen und die Kraft der Symbole sich entfalten kann. Orte können eine solche Anziehungskraft haben, unsere St. Leonhardkirche ist zweifelsohne so ein besonderer Ort, an dem wir die reichen Güter unseres Gottes in Freud und Leid erfahren dürfen.
Leid und Klage, Freude und Wonne – alles hat hier seinen Platz. Wonne ist so ein altes deutsches Wort, das wohl ursprünglich sogar im ganz realen Sinne frisches Futter, üppige Weide bedeutet hat und worunter wir heute – eher dichterisch als in der Umgangssprache – ein tiefes innerliches Glück verstehen. Mit Wonne sollen wir getränkt werden durch und durch wie mit einem Strom, schreibt der Dichter der Psalms. Ein solches Glück stellt sich meist nicht auf Knopfdruck ein. Es sind eher die Momente im Leben, die uns zufallen, die wir still genießen oder mit den Menschen, mit denen wir in besonderer Weise vertraut sind. Momente, in denen wir spüren, dass auf unser Leben ein Lichtschein fällt, den wir nicht selbst in der Hand haben.
In diesem Licht Gottes erscheint auch das Schwere erträglich. Es ist das Licht des auferstandenen Christus, das uns da umfängt. In seinem Licht sehen wir unser Licht. Im Licht der Auferstehung fühlen wir uns verbunden mit all denen, die von uns gegangen sind, in unseren Familien, in unseren Jahrgängen. Wenn wir uns um den Tisch des Herrn versammeln, um miteinander sein Mahl zu feiern, dann ist das nicht nur ein Mahl der Erinnerung an Jesus Christus, sondern in ihm, dem Auferstandenen, erinnern wir auch unsere Verstorbenen. Sie sind in unserer Mitte gegenwärtig.
So weit reicht die Güte unseres Gottes. Wir sind nicht verloren. Zu ihm, der Quelle des Lebens, kommen wir immer wieder zurück und schöpfen neue Kraft für unser Leben. So wollen wir Ihnen heute den Segen Gottes neu zusprechen und uns bestärken lassen durch seinen Geist für das Leben, das vor uns liegt.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.