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Gottesdienst am Pfingstsonntag

Vielfalt ist eine Herausforderung für das Zusammenleben. Wo der gute Geist dabei ist, ist sie eine Bereicherung für uns alle. Um Vielfalt und die Einigkeit im Geiste Gottes geht es in der Predigt am Pfingstsonntag.

 

Predigt: Pfarrer Michael Grell.

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

wird alles wirklich wieder so, wie es vor der Pandemie war? Oder behalten die recht, die Vieles schwarz malen?

Sie sahen schwarz für die Zukunft. Nichts war mehr, wie zuvor. Sie verharrten ängstlich in ihrem Zimmer eingeschlossen, als der Geist sie auf einmal ergriff. Welche Zukunft sollte den Jüngern beschieden sein? Sollte es für sie überhaupt eine Zukunft geben?

Als Petrus wenig später das Wort ergreift, liest er Worte aus dem Prophetenbuch Joel. In den letzten Tagen, heißt es dort, wird Gott seinen Geist ausgießen. Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein, eure jungen Männer werden Visionen haben und eure Alten werden Träume haben.

Ja, das wäre doch was. Visionen und Träume haben wir freilich noch. Ferien mit der Familie, Urlaub in der Ferne, einfach mal rauskommen und wieder Menschen treffen. Sich wirklich begegnen und gemeinsam wieder etwas auf die Beine stellen. Etwas bauen, was Zukunft verspricht. Miteinander etwas erleben, was Sinn stiftet.

Das ist offenbar ein Grundzug menschlicher Regungen. Nicht alleine für sich, sondern miteinander eine Zukunft bauen. Hört als Kommentar zur Pfingstbotschaft diese uralte Geschichte vom Anfang der Bibel:

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.
Als sie nun von Osten aufbrachen,
fanden sie eine Ebene im Lande Schinar
und wohnten daselbst.
Und sie sprachen untereinander:

Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! –
und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel
und sprachen:
Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen,
dessen Spitze bis an den Himmel reiche,
dass wir uns einen Namen machen;
denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.

Da fuhr der Herr hernieder,
dass er sähe die Stadt und den Turm,
die die Menschenkinder bauten.
Und der Herr sprach:
Siehe, es ist einerlei Volk
und einerlei Sprache unter ihnen allen
und dies ist der Anfang ihres Tuns;

nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können
von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.
Wohlauf, lasst uns herniederfahren
und dort ihre Sprache verwirren,
dass keiner des anderen Sprache verstehe!

So zerstreute sie der Herr von dort über die ganze Erde,
dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen.
Daher heißt ihr Name Babel,
weil der Herr daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache
und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

(Gen 11,1-9)

 

Liebe Gemeinde,

diese Vision wurde zerstört. Dieser Traum von der einen Stadt, in der es sich gut leben lässt, ist zu Ende gesponnen. Gott selbst greift ein und mischt die Karten neu. Ist etwa doch etwas Schlechtes daran, wenn Menschen gemeinsam etwas bauen wollen?

Es stiftet doch Identität, wenn wir gemeinsam unter dem Kirchturm feiern. Wir richten es uns so ein, dass wir uns wohlfühlen. Andere, als die, die mit zulangen, brauchen wir nicht. Wir haben schon einen Plan und den ziehen wir jetzt durch. Und freilich, manch einer wird sich vielleicht in unserem Plan nicht wiederfinden, aber man kann es ja nie allen recht machen. Das wichtigste ist, dass wir jetzt in der Krise einen Halt und Sicherheit finden und nach vorne schauen. Die Vereinzelung ist sowieso schon überall mit Händen zu greifen. Wir wissen, woran wir glauben und worauf wir vertrauen können. Mit einem Munde loben wir diesen Gott.

EG 262,1+2 – Sonne der Gerechtigkeit

Also geht es doch darum die Visionen und Träume nicht zu vergessen, sondern sie gegen den Trott des Einerlei geltend zu machen. Gegen die allgemeine Trägheit, die uns erfasst hat, soll dieses Pfingstfest ein Zeichen setzen, soll Gott mit seinem Geist uns neu beleben. Ja, wir brauchen es. Jetzt.

Gott hat den Menschen als ein mit Geist beseeltes Wesen geschaffen. Gott hat seine Zusage zum Menschen auch nach der Sintflut erneuert. Die Söhne Noahs und die Kindeskinder Noahs leben längst zerstreut über die Erde verteilt. Von diesen, heißt es, trennten sich die Völker der Inseln, in ihren Ländern, ein jedes nach seiner Sprache, nach seinen Geschlechtern in ihren Völkern. (Gen 10,5) Und: Das sind die Söhne Hams nach ihren Geschlechtern, Sprachen und Völkern. (Gen 10,20) Und: Das sind die Söhne Sems nach ihren Geschlechtern, Sprachen und Völkern. (Gen 10, 31) Und schließlich lautet der letzte Vers vor unserer Geschichte: Von diesen Geschlechtern her haben sich ausgebreitet die Völker auf Erden nach der Sintflut.

Auf einmal wirkt unsere Geschichte von der Stadt und dem Turmbau zu Babel wie ein Fremdkörper in dieser Erzählung. Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Wie ein Rückgriff in eine Urzeit klingt dieser Einsatz, so als müsste die Geschichte der Zerstreuung der Menschheit noch einmal mit anderen Worten von vorne erzählt werden. Dabei ist doch schon klar, dass es Sprachen gab. Dabei ist doch schon angelegt: Gott will die Zerstreuung. Er will die Vielfalt. Sie ist sein Werk. Warum dann überhaupt noch diese Geschichte?

Ich sehe es so: Sie ist ein Kommentar gegen die damaligen Großreiche, wie Babylon eines war. Gegen die Herrschaft der Mächtigen, die die Sprache vereinheitlichen wollen. Sie ist eine kritische Geschichte gegen die, die vereinfachen wollen und alles nach ihrem Plan organisieren wollen. Sie ist eine Geschichte gegen die, die sich abschließen wollen von der Welt und, die die Nachbarn nicht sehen.

Das bringt Gott durcheinander. Da kann er nicht mit. Da mischt er die Karten neu, indem er sich selbst einmischt. Nicht, weil er die Zerstreuung um ihrer selbst will, sondern weil das Große nicht groß sein darf, ohne das Kleine zu achten. Und weil das Gemeinsame nur gut wird, wenn ein Bewusstsein für das, was uns trennt, bewahrt wird. Nur wo Farben gemischt werden, entstehen neue Farben, unendlich viele in ihren Schattierungen.

EG 242,4

Nicht die Vielfalt ist die Strafe, sondern die mit Macht herbeigeführte Einheit. Im 20. Jahrhundert galt der Grundsatz: Ein Volk, ein Land, eine Sprache. Die Konferenz von Potsdam hat dieses Denken 1945 für Mitteleuropa noch einmal zementiert. Die Ideologie, das ortsfremde Völker mit anderer Sprache hier keinen Lebensraum haben, fand freilich vorher schon ihren grausamen Gipfel im Mord an den europäischen Juden. Bis in die Neuzeit hinein war das freilich in Europa ganz anders. Da konnte man in Städte kommen, in denen viele verschiedene Sprachen nebeneinanderher gesprochen wurden – wie selbstverständlich. Vor allem im Osten oder im Süden galt das.

In diesen Städten sind die Tore geschmückt. Sie stehen offen. Wie in der himmlischen Stadt der Johannesoffenbarung, der Vision ganz am Ende der Bibel. Da ist von keinem Turm die Rede. Da ist keine Angst und Scheu vor der Begegnung mit anderen.

Es ist der Geist, der die Angst vertreibt. Der Geist treibt hinaus aus dem heimeligen Zimmer der Angst. Die Jünger stehen auf einmal Rede und Antwort. Sie gehen unter die Leute. Sie selbst haben auf einmal eine Vision. Sie sehen Christus, den Auferstandenen an ihrer Seite und beginnen von ihm zu erzählen. So, dass es ein jeder in seiner Sprache hört.

Das ist der wahre Geist der Einheit, der die verschiedenen Menschen verschieden anspricht. So, dass sie die frohe Botschaft hören können. Ihr seid nicht verloren, auch wenn ihr zerstreut lebt. Ihr seid nicht allein, denn in diesem Geist Gottes ist Jesus Christus bei euch.

Eins sind wir in Christus und doch bleiben wir viele verschiedene Menschen mit ganz unterschiedlichen Gaben und Anlagen. Lassen wir uns durchmischen vom Geist, der die Vielfalt erhält, die das Leben spannend sein lässt.

Einfach ist das nicht. Der eigene Kirchturm ist am Ende doch nicht das Wichtigste. Wer hätte das gedacht: Wir sind nicht der Nabel der Welt. Gestehen wir dem Nachbarn zu, dass er auch gute Ideen hat. Sehen wir uns als Teil der großen Vielfalt, die Gottes Schöpfermacht erhält.

Einfach ist das nicht. Die Vielfalt der Völker auf unseren Straßen, in unseren Schulen, in unserem Land fordert uns. Aber sie bereichert uns auch in unseren Kirchen.

Einfach ist das nicht. Die neue Vielfalt der Lebensformen, der Geschlechter, der Blick auf Diversität verändert die Gesellschaft. Aber ich verstehe sie als einen Ausdruck der Vielfalt, die der Geist Gottes schafft und zusammenhält.

Die Jünger sind an Pfingsten hinausgegangen zu den Menschen in ihrer Vielfalt wie einst Jesus selbst, der zu dem Samariter ging, dem, der aus einem anderen Land war. Er ging zu den Verachteten und denen, die am Rande standen. Er setzte sich ihnen aus. Das Evangelium erzählt von einer großen Vielfalt von Menschen, die eins sind in dem Vertrauen auf Gott.

Wird alles wieder wie früher?

Ja und nein. Die Jünger blieben zwar dieselben, aber sie verstanden kraft des Geistes etwas neu, ja sie verstanden sich selbst neu: Sie verstanden sich von Gottes Geist geschickt, sich unter die vielfältigsten Menschen zu mischen und die frohe Botschaft auf ihre Weise weiterzusagen. Jeder ist geschickt.

Ja, wir brauchen dieses Pfingsten jetzt – mit neuen Ideen und Visionen mit neuen Aufgaben. Gottes Geist schickt auch uns. Einen jeden in seiner Vielfalt. Er braucht gerade diese Vielfalt. Die Mischung machts!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.