
Wir gedenken der Verstorbenen und denken über unser Leben nach. Musikalischer Gottesdienst am Totensonntag in der St. Leonhardkirche Köditz. Hier zum Nachhören und Nachsinnen.
Orgel: Dekanatskantorin Sophia Lederer
Saxophon: Hans Dieg
Pfarrer Michael Grell
Musikaufnahme: Hans Dieg, Schnitt: Michael Grell.
Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
„nach einem erfüllten Leben müssen wir uns von unsrem Verstorbenen verabschieden.“ – mit diesen Worten könnte eine Trauerfeier beginnen. Von einem langen und ereignisreichen Leben ist auch im heutigen Predigttext die Rede. Und doch bleibt da etwas offen.
Wir hören Worte aus dem 5. Buch Mose, Kapitel 34,1-8:
Mose stieg aus den Steppen Moabs auf den Berg Nebo, den Gipfel des Gebirges Pisga, gegenüber Jericho. Und der Herr zeigte ihm das ganze Land: Gilead bis nach Dan und das ganze Naftali und das Land Ephraim und Manasse und das Land Juda bis an das Meer im Westen und das Südland und die Gegend am Jordan, die Ebene von Jericho, der Palmenstadt, bis nach Zoar.
Und der Herr sprach zu ihm: Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe: Ich will es deinen Nachkommen geben. – Du hast es mit deinen Augen gesehen, aber du sollst nicht hinübergehen.
So starb Mose, der Knecht des Herrn, daselbst im Lande Moab nach dem Wort des Herrn. Und er begrub ihn im Tal, im Lande Moab gegenüber Bet-Peor. Und niemand hat sein Grab erfahren bis auf den heutigen Tag.
Und Mose war hundertzwanzig Jahre alt, als er starb. Seine Augen waren nicht schwach geworden, und seine Kraft war nicht verfallen. Und die Israeliten beweinten Mose in den Steppen Moabs dreißig Tage, bis die Zeit des Weinens und Klagens über Mose vollendet war.
Liebe Gemeinde,
da rundet sich ein langes Leben. Hineingeworfen in eine Welt voller Gefahren für den männlichen Nachwuchs war einst das kleine Baby Mose. Hineingeworfen in das Wasser des Nils und doch gerettet für einen späteren, großen Auftrag. Dank der Tochter aus hohem Hause wurde Mose im Palast des Pharaos erzogen, fern von seinen beiden Geschwistern Miriam und Aaron. Als er alt genug war, die Zusammenhänge der Welt zu erkennen, ging er hinaus zu seinen Landsleuten, stritt sich um der Gerechtigkeit willen, lud Schuld auf sich, und begrub seine Tat im ägyptischen Sande. Aber sie blieb nicht unentdeckt, darum musste er fliehen, lebte lange im fernen Midian, heiratete, bekam einen Sohn und hatte eines Tages am Berg Sinai eine wunderbare Gotteserscheinung. Der Auftrag, der ihm dort zuteil wurde, war viel zu groß für ihn, aber nach anfänglichem Zögern stellte er sich seiner Berufung auch unter tatkräftiger Mithilfe seiner Geschwister. Er lehrte mit Gottes Hilfe den mächtigen Pharao fürchten, er rang mit ihm und führte zahlreiche Gespräche; doch am Ende half nur ein radikaler Bruch, auch mit seiner eigenen Vergangenheit. Er führte sein Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit, wie es ihm aufgetragen worden war. Wer hätte das dem kleinen Baby aus dem Nil einst zugetraut? Viele Jahre führte er sein Volk durch die Steppen- und Wüstenlandschaft des Sinais, kehrte zurück an den Ort seiner Berufung, lehrte seinem Volk den Zusammenhalt und das Gottvertrauen und führte es unermüdlich bis ins hohe Alter unter Mithilfe des bereits ernannten Nachfolgers an die Grenze zum verheißenen Land. So schied er aus dieser Welt im Anblick des von Gott ihm und seinem Volk verheißenen Landes.
Trotz aller Herausforderungen, aller Schuld und Angst erscheint hier ein in sich rundes Leben, das zu einem Ende gekommen ist. Und doch bleibt hinter diesem Leben des Mose ein großes Fragezeichen. Das Land, in dem Milch und Honig fließen, dieses Land, von dem Mose Zeit seines Lebens lange den Seinen sehnsüchtig erzählte, blieb ihm selbst verwehrt. Er wird es nicht mehr betreten. Obwohl er so oft von dieser Hoffnung und Sehnsucht sprach, ist es ihm nicht vergönnt, es zu genießen.
Wie ist das mit unseren Lebenszielen? Allenthalben nehmen wir uns welche vor und gehen auch mutig voran, sie zu erreichen. Über manches erreichte Ziel sind wir stolz. Wir freuen uns über Gelungenes und hadern mit dem, was schiefgelaufen ist. Ja, es gibt auch Dinge, die wir nicht wieder zurückdrehen können. Und es gibt Wege, die wir heute anders weiter gehen würden. Es gibt Lebensträume, die wir hinter uns lassen mussten. Manche von ihnen sind heute wirklich nicht mehr wichtig. Anderen trauern wir vielleicht noch nach.
Im Blick auf das Leben unserer Verstorbenen fallen uns gewiss auch solche gelungenen Ziele ein. Wir denken an das, was wir gemeinsam mit ihnen erleben durften. Wir erinnern die gemeinsamen Runden in der Familie oder im Kreis der Freunde. Wir haben noch heute ein Wort im Ohr oder einen Satz, den uns die verstorbenen Lieben mit auf den Weg gegeben haben, der für uns bedeutsam bleibt.
Aber es kommen auch von Zeit zu Zeit die schwierigen Erinnerungen hoch. Das harte Wort, das verletzt hat. Die Sätze, die wir lieber aus unserer Erinnerung tilgen würden, aber die doch nie ganz verschwinden.
Da drängt sich für uns der Verdacht auf: Das Leben wird für uns nie ganz rund sein, nicht einmal an seinem Ende. Es bleibt immer etwas unvollkommenes stehen. Es bleibt immer eine Grenze, die uns zu überschreiten verwehrt ist. Wie dem Mose, der das gelobte Land nicht erreichen konnte. Dessen Leben nicht im Hier und Jetzt erfüllt wurde, sondern dessen Erfüllung in der Zukunft liegt.
Bei manchem Tod bleibt die offene Wunde als Frage: Warum musste sie, musste er so früh gehen? Warum hat er seinem Leben ein Ende gesetzt? So aus dem Hinterhalt kam das alles und niemand hatte davon eine Ahnung. Warum blieb es ihr verwehrt, ihr Leben entfalten zu können mit ihren Gaben und in Freiheit mit den Menschen, die sich liebgehabt haben?
So bleibt unser irdisches Leben immer ein Fragment. Manches bleibt eine offene Frage, für manches gibt es Antworten. Die Bruchstücke, die kein schlüssiges Ganzes ergeben, machen das Leben anstrengend, aber auch spannend. Unter manchen Spannungen kann man zerreißen, dann ist es gut, wenn wir Menschen haben, denen wir uns anvertrauen können mit unseren Sorgen, unseren Gefühlen, unserer Schuld.
Wo wir solche Orte haben, kann hier in unserer Welt schon ein Licht des gelobten Landes aufscheinen. Dann haben wir die Grenze schon ein bisschen überschritten, ohne gleich die ganze Weite des beschriebenen Landes durchschritten zu haben.
Ein Lied, ein Gespräch, ein offenes Ohr, ein einfühlsames Nachfragen können helfen, über etwas wegzukommen, was einem nachhängt. Es ist dann sicher nicht alles weg, so wie uns das Kreuz als Symbol alles irdisch Schweren bleibt, auch wenn wir glauben, dass Christus auferstanden ist. Aber dieses Schwere soll uns nicht hinunterziehen und lähmen. Es ist aufgehoben in der Vorfreude darauf, dass auch uns eine Vollendung unseres Lebens in jener neuen Welt Gottes verheißen ist.
Musik kann trösten. So, wie das, was wir bereits hörten. Wir hören im Anschluss ein modernes Trostlied aus dem Jahr 1992, entstanden in einer Zeit der Trauer über einen allzu frühen, tragischen Tod. Erinnerungen spiegeln sich in dieser Melodie für den Schöpfer der Zeilen. Die Zeit spielt auf einmal keine Rolle. Ob es ein langes oder kurzes Leben war. Spielt es eine Rolle? Verleihen wir den Bruchstücken unserer Leben ihre Würde und nehmen sie an, wie sie sind. Erfreuen wir uns an der gemeinsamen Zeit, an den Begegnungen und der erfahrenen Liebe zueinander.
Amen.