
Wir vergleichen uns immer wieder. Konkurrenzdenken scheint uns eingebrannt zu sein. Jesus im Gespräch mit den Jüngern über ein allzu menschliches Phänomen. Predigt am Sonntag Judica von Pfarrer Michael Grell.
Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
manchmal kommt das in den vertrautesten Runden und Kreisen vor: Da lässt jemand zum wiederholten Male eine Bemerkung fallen, die dem anderen sauer aufstößt. Der andere hat es sich bisher verkniffen, darauf zu reagieren. Er will den Frieden nicht aufs Spiel setzen. Auf die Dauer aber lässt es sich dann doch nicht überhören. Es kommt je länger, je mehr dazu, dass der eine immer genau aufpasst, was der andere macht. Und dann: Auf einmal, ist das Fass zum Überlaufen voll. Die anderen sitzen derweil im Kreise nur bedröppelt daneben und versuchen zu begreifen, was gerade vor sich geht.
Wenn jemand sich verletzt fühlt, wird er es nicht gleich allen zeigen. Als die mittelmäßige Note bei der Rückgabe der Probe auf dem Schülertisch landet, beginnt sofort das Vergleichen. Mal schnell nach links und nach rechts geschaut, wie die Banknachbarn abgeschnitten haben. Das kennen wir alle. Naja, war doch nicht so schlimm. Da gibt es noch schlechtere. Bessere gibt´s natürlich auch. Sofort entsteht ein unsichtbares Ranking im Kopf der Schülerin.
Waren es Verletzungen oder Vergleiche mit den anderen, die bei Johannes und Jakobus in dieser Geschichte aus dem Evangelium eine Rolle spielten? – Hört, was Markus im 10. Kapitel schreibt:
Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus,
gingen zu Jesus und sprachen zu ihm:
Meister, wir wollen, dass du für uns tust,
was wir dich bitten werden.
Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
Sie sprachen zu ihm:
Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten
und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
Jesus aber sprach zu ihnen:
Ihr wisst nicht, was ihr bittet.
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke,
oder euch taufen lassen mit der Taufe,
mit der ich getauft werde?
Sie sprachen zu ihm:
Ja, das können wir.
Jesus aber sprach zu ihnen:
Ihr werdet zwar den Kelch trinken,
den ich trinke,
und getauft werden mit der Taufe,
mit der ich getauft werde;
zu sitzen aber zu meiner Rechten oder meiner Linken,
das zu geben steht mir nicht zu,
sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
Und als das die zehn hörten,
wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen:
Ihr wisst, die als Herrscher gelten,
halten ihre Völker nieder,
und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
Aber so ist es unter euch nicht;
sondern wer groß sein will unter euch,
der soll euer Diener sein;
und wer unter euch der erste sein will,
der soll euer Knecht sein.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene
und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
(Mk 10,35-45)
Liebe Gemeinde,
offenbar gab es das Vergleichen auch im Kreise der Jünger. Im Kreise der Hochverbundenen, der Zwölf entsteht ein Gerangel um die vordersten Plätze im Himmelreich. Wer sitzt näher beim Herrn? Wer ist der bessere oder ausgezeichnete Jünger?
Konkurrenz entsteht leicht. Wir alle kennen sie. An Ostern will die Familie zu Besuch kommen. Allerdings nur bei den anderen Großeltern. Die werden bestimmt auch viel häufiger angerufen. Die Enkelkinder haben sie auch viel lieber.
Zeit ist eine begrenzte Ressource. Auch Aufmerksamkeit kann nicht endlos aufgebracht werden. Wir sehnen uns danach, dass diese Dinge, mit denen wir unser Leben verbringen in jener neuen Welt einmal ein Ende haben. Und dann diese Geschichte von den beiden Jüngern, die da bei Jesus in seiner Herrlichkeit – wie es im Text heißt – an vorderster Stelle Platz nehmen wollen.
Ja, es geht hier zweifelsohne um den innersten Kreis der Jünger. Dreimal kündet Jesus sein Leiden und Sterben den Jüngern an. Erst ist es Petrus, der widerspricht und nicht damit klarkommt. Dann ist es Johannes. Und schließlich – nach der dritten Leidensankündigung – sind es diese beiden Brüder: Jakobus und Johannes. Es klingt fast so, als hätten sie Angst, zu kurz zu kommen. Dabei hat Jesus ihnen Vieles anvertraut. Mit ihrer Frage an Jesus stellen sie sich ins Abseits. Sogleich sind auch die zehn anderen Jünger auf den Plan gerufen. Unwillig sind sie gegenüber den beiden Brüdern. Jesus muss einen handfesten Streit schlichten, bevor der sich weiter auftürmt. Es geht um Konkurrenz, ums Vergleichen, um Verletzungen.
Jesus antwortet, indem er zuhört. Er straft niemanden. Er schließt keinen der Jünger aus. Sein Umgang mit der Macht, die Menschen über Menschen ausüben wollen, ist ein anderer. Er weist darauf hin, dass Menschen Menschen dienen sollen. Und er erklärt das mit der Taufe und dem Kelch.
Die Taufe, mit der wir getauft sind, macht uns zu Kindern des einen Gottes. Wir sind ein Teil des Ganzen, ohne den das Ganze nichts wäre. Wir sind aber gleichzeitig nur ein Teil, der nicht Macht über alle anderen haben wird. Wir können uns keinen besonderen Platz vor Gott verdienen. Die Taufe macht uns alle zu Priestern und Heiligen, sagte einst Luther, um zu betonen, dass die Heiligen und Priester des Mittelalters nichts Besonderes sind im Gegenüber zu uns allen. Es ist der eine Geist und der eine Gott, der sich uns allen in gleicher Weise zeigt.
Der Kelch taucht in der Passionsgeschichte gleich zweimal auf. Als Kelch des Heils im Letzten Abendmahl mit den Jüngern und als Kelch des Leids für Jesus im Garten Getsemane. Es ist derselbe Kelch. Jesus sagt den Jüngern: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinken werde.Â
Diese beiden Symbole Taufe und Kelch zeigen uns je auf ihre Weise: Vor Gott braucht es das nicht, dieses Schielen auf die Konkurrenz. Das ist wohltuend. Weil wir getauft sind, ist es unnötig vor Gott zu wetteifern. Er nimmt uns alle gleich. Seine Aufmerksamkeit ist unbegrenzt. Seine Liebe gilt uns allen.
Das andere Symbol ist der Kelch des Heils. Aber dieser Kelch ist gerade deswegen ein Kelch des Heils, weil an ihm auch der Schmerz sichtbar bleibt. Es ist auch der Kelch des Leidens Jesu. Die wahre Gemeinschaft erlebt nur, wer für Beides ein offenes Ohr hat.
Wer bereit bleibt, mit seinem Nächsten zu reden, auch über Verletzungen ins Gespräch kommt, der wird entdecken, dass der Kelch des Leids in einen Kelch des Heils verwandelt werden kann. Die Schülerin, die enttäuscht ist über ihr Abschneiden bei der Probe wird entdecken, dass da neben der simplen Note Mitschülerinnen sind, die gute Freunde sein wollen und können, ja, dass Schule mehr ist als diese bloße Leistungskontrolle, vielmehr Neugierde auf das, was man Lernen kann. Und vielleicht sind ja sogar welche da, die auf ihre Hilfe warten.
Jesus sagt: So sollt ihr miteinander umgehen. Einander dienen und aufeinander sehen. So wie er selbst versucht hat, sich in die Jünger hineinzuversetzen, so ist es uns aufgetragen, es ihm nachzutun. Nicht so soll es sein: Die anderen kleinhalten, wie die es tun, die als Herrscher gelten und die Völker niederhalten wollen. Sondern wer groß sein will, der soll euer Diener sein.
Sein Leben geben heißt: Zeit schenken und Aufmerksamkeit für ein Leben im Miteinander, in dem das sinnlose Leiden einen Ort hat. Es wird sichtbar am Kreuz. Es bleibt sichtbar im Kreuz. Leid und Ohnmacht werden nicht einfach weggewischt. Vor das Kreuz wird nicht einfach ein Vorhang gezogen. Es bleibt bewusst. Aber es hat nicht das letzte Wort. Das letzte Wort gehört Gott. Er entscheidet, wer zur Rechten und Linken sitzt. Sein Gericht befreit von der ewigen Konkurrenz. Es befreit vom Streben nach Macht. Es schließt aber auch niemanden von vorneherein aus. Es setzt auf die Kraft des anteilnehmenden Gesprächs und darauf, dass wir einander dienen.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.