
Wir warten… – auf das Kommen des Geistes. Predigt am Sonntag vor Pfingsten von Pfarrer Michael Grell.
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Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
wenn plötzlich etwas Unvorhergesehenes ins Leben einbricht, dann scheint die Welt auf einmal still zu stehen. Man tritt auf der Stelle und kommt nicht recht weiter, auch wenn man es wollte. Man sehnt schon die Zukunft herbei, die man sich aber noch gar nicht recht auszumalen weiß.
Nun sind solche plötzlichen Ereignisse oft auch schlimme Ereignisse wie eine unvermittelt eintretende Krankheit oder der Tod eines geliebten Menschen. Oder es sind Ereignisse, die sich zwar schon angebahnt haben, wie der Auszug der Kinder aus dem eigenen Hause oder ein neuer Arbeitsplatz, die mit einer gewissen Erwartung verbunden waren, aber der eigentliche Punkt wird erst dann gesetzt, wenn die Unterschrift unter dem Vertrag steht oder für das Kind die neue Wohnung mit eingerichtet wird.
Manchmal kommt man in solchen Zeiten gar nicht recht zur Besinnung. Erst hinterher entdeckt man, wie sich das Leben verändert hat. Manchmal empfindet man aber auch sofort einen Schmerz und eine gewisse Wehmut, dass etwas zu Ende ist, das einem kostbare Lebenszeit bedeutete.
Der Abschied, den die Jünger von Jesus auf dem Berg nahmen, als er gen Himmel fuhr, sollte kein Abschied für immer sein. Aber ihnen war dennoch klar: Die gemeinsame Zeit mit ihm ist zu Ende. Es gibt kein zurück in frühere Zeiten. Aber das, was in Zukunft sein soll, blieb den Jüngern in diesem Moment ebenso unklar. Sie konnten ja noch nicht wissen, was wir wissen, nämlich, dass ihre Geschichte weitergehen würde. Sie waren deswegen alles andere als fröhliche Leute, eher bang und unsicher, was jetzt die nächsten Schritte sein würden.
Sie blieben beieinander. Das ist von ihnen aufgeschrieben. Sie beteten. Das wissen wir auch. Und es geschah erst einmal nichts mit ihnen. Sie waren nicht glaubensstark, so wie sie es vielleicht von sich noch vor dem Abschied von Jesus gewünscht hätten. Sie waren auch nicht sofort zuversichtlich, dass da etwas auf sie wartet. Sie blieben aber offen für das, was an ihnen geschehen sollte.
Paulus, der zwar nicht einer von den Zwölfen war, aber sich später gut in sie hinein versetzen konnte, beschrieb die Situation der Jünger nach der Himmelfahrt Jesu in seinem Brief an die Römer mit seinen Worten. Es sind pfingstliche Worte. Denn Paulus blickte bereits zurück auf das, was mit den Jüngern und auch mit uns Menschen geschieht, wenn wir uns in solchen Zwischenzeiten und Zwischenräumen befinden. Hört die Worte des Apostels aus dem 8. Kapitel des Römerbriefes, Verse 26 bis 30:
Der Geist hilft unserer Schwachheit auf.
Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen,
wie sich´s gebührt,
sondern der Geist selbst tritt für uns ein
mit unaussprechlichem Seufzen.
Der aber die Herzen erforscht,
der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist;
denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will.
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben,
alle Dinge zum Besten dienen,
denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Denn die er ausersehen hat,
die hat er auch vorherbestimmt,
dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes,
damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.
Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen;
die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht;
die er aber gerecht gemacht hat,
die hat er auch verherrlicht.
(Röm 8,26-30)
Liebe Gemeinde,
Abschiede von alten Gewissheiten werden uns zugemutet. Der Abschied von einem Leben in einer europäischen Friedensarchitektur brach unvermittelt und mit einem gewissen Erstaunen über die Kaltblütigkeit eines Kriegsherren herein, auch wenn schon länger das Säbelrasseln nicht überhören war. Trotz großzügiger Freiheiten in diesem Sommer zeigt sich erst allmählich, ob die Pandemie nicht einen Abschied bei manchen alten Gewissheiten nach sich zieht. Abschiede von fetten Jahren zeichnen sich auch für uns Christen am Ort ab. Wir werden immer weniger, wir werden immer weniger Pfarrerinnen und Pfarrer haben in Zukunft. Immer mehr unserer Nachbarinnen und Nachbarn sehen keinen Sinn mehr darin, Mitglied einer Gemeinschaft von Gläubigen zu sein.
Jedes Einzelne davon macht uns alleine schon unsicher. Ängste kommen hinzu. Abschiede sind schmerzlich. Es fällt uns schwer, sofort ein neues Ziel am Horizont zu sehen. Eher türmen sich die dunklen Wolken der Sorge übereinander. Alte Sicherheiten schwinden. Da ist noch kein Geist zur Stelle der hilft. Und auch die Worte, die schon verkündet werden, dass man zuversichtlich sein soll und nur auf Gott vertrauen muss, bleiben manchmal merkwürdig leer.
Von den Jüngern heißt es nach der Himmelfahrt Jesu, dass sie beieinander blieben. Das hört sich erstmal wie eine nebensächliche Bemerkung an. Dabei ist es ja schon erstmal erstaunlich, dass aneinander festhielten als Jesus, ihr Mittelpunkt, nicht mehr da war. In der Gemeinschaft mit anderen lässt sich der Schmerz, lässt sich die Schwäche besser ertragen. Paulus scheint das auch erfahren zu haben. Er schreibt zwar gleich etwas vollmundig: Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Das soll Zuversicht verbreiten. Aber er sagt auch sofort, worin diese Auferbauung des Geistes besteht und wie sie geschieht. Und das ist dann doch bemerkenswert:
Der Geist seufzt mit uns. Unaussprechlich. Es ist also kein Geist, der mit einem starken Brausen einfach alles hinweg wischt, was uns beschwert. Der Geist Gottes stellt sich vielmehr ganz auf unsere Seite, in unserer Gefühlslage der Unsicherheit und Angst und stimmt mit seinem Seufzen in unseren Schmerz ein und bringt ihn vor Gott. Wenn wir nicht wissen, was und wie wir beten sollen, dann ist er es, der uns die Worte verleiht, der uns ein Gefühl der Sicherheit gibt, der uns stützt in der Schwachheit. So einen Geist will Gott uns senden.
Dabei bleibt das mit dem Geist ja stets schwierig. Wir tun zwar in der Kirche immer so, als hätten wir den auch bei uns zum Austeilen. Vielleicht sollten wir uns da aber ein wenig mehr zurückhalten. Wir besitzen ihn nicht. Wir bitten nur um ihn und hoffen, dass er wirken wird. Wir können sein Wirken nicht erzwingen. Aber dort, wo er wirkt, können wir es oft hinterher erkennen.
Nicht jeder irdische Schmerz kann in dieser Welt genommen werden. Es gibt Leiden, für die ist wohl jede Bitte angemessen, aber keine Hilfe dieser Welt groß genug, sie zu lindern. Darum bleibt dem Geist der Schwachheit eine wichtige Aufgabe. Er stiftet Hoffnung. Eine Hoffnung, die über dieses Leben hinausreicht. Wenn Paulus den Römern schreibt: Wir wissen aber, dass denen die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, dann ist das für mich nur so verständlich: Wir wissen aber, dass Gott auch aus dem Schlimmsten noch Gutes erwachsen lassen kann. Aber dieses Gute auch zu erkennen, fällt uns nicht immer sofort ins Herz. Manches dürfen wir wahrscheinlich erst schauen, wenn wir bei Gott sind.
Darin aber sehe ich ein Wirken dieses Geistes der Schwachheit, der auch der Geist Jesu ist. Denn in ihm sehe ich die Hoffnung, weil Jesus auferstanden ist, Hoffnung für alle Unsicherheit und Angst, die uns jetzt umfängt.
In dieser Woche erzählte eine Erstklässlerin, dass ihr ihr Vater erzählt habe, dass Jesus gestorben sei, auferstanden und in den Himmel gefahren, weg von seinen Freunden. Sie trug das mit einer gewissen Selbstverständlichkeit vor. Da kann es um unsere Mitchristen noch nicht so schlecht bestellt sein, wenn sie ihren Kindern die Geschichten von Jesus zu Hause erzählen.
Im Konfirmandenkurs sahen wir einen kleinen Film zu Bestattungen. Ein Kollege erklärte in kurzen Worten, warum er die Auferstehung Jesu der Vorstellung von der Wiedergeburt immer vorziehen würde. Normalerweise sorgt diese Passage immer für angeregte Diskussion. Wieso, warum? Auch wenn es schwerfällt, sich die leibliche Auferstehung vorzustellen, da ringt ja auch das Neue Testament mit, so kam eine grundsätzliche Infragestellung des Glaubens an die Auferstehung Jesu für die Jungs offenbar nicht in Frage.
Der Geist wirkt noch immer an Orten und in Menschenherzen. Wir können sein Wirken nicht erzwingen. Das macht es bleibend schwierig mit ihm. Aber gerade dort, wo wir meinen schwach zu sein, können wir um ihn bitten, dass er uns zur Seite tritt. So wie einst die Jünger. Wir müssen nicht immer alles wissen, schon gar nicht besser wissen. Wir können auch nicht immer alles glauben. Das einmal offen zu sagen und unsere Schwachheit zu gestehen, ist manchmal besser als für alles eine Antwort parat zu haben. Wir können bitten um den Geist, der unserer Schwachheit hilft. Den Geist der Hoffnung und in diesen Zeiten ganz besonders: Den Geist des Friedens.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.