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Gottesdienst am 29. August

Manche werden als Verlierer geboren. Andere werden vom Leben betrogen und werden zum Verlierer. Abel und Kain, die Geschichte zweier unterschiedlicher Verlierer steht im Mittelpunkt der Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis. Predigt von Pfarrer Michael Grell.

 

 

 

Predigt

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

Schweigen ist auch eine Antwort. Es lässt eine Leerstelle. Es gibt Situationen, da ist Schweigen angebracht. Im Schweigen kann gemeinsam Leid oder Trauer getragen werden, bevor vorschnell Dinge zerredet werden.

Aber Schweigen ist nicht gleich Schweigen. Manchmal braucht es lange Zeit, bis jemand Worte findet, über erlittenes Unrecht zu reden. Gewalt, die sie erlitten hat. Grausames, das man selbst miterlebt hat und in Bildern mit sich trägt. Ich denke an Situationen von Flucht und Krieg, die erst in späten Erzählungen einen neuen Raum fanden. Wo Menschen einander zuhörten und das Leid sahen und so teilten.

Und Schweigen ist manchmal keine angemessene Reaktion. Dort, wo Worte etwas klären hätten können, ist die lautlose Stille ein Vorbote schlechter Taten.

So war es bei Kain und Abel. Kains Frust mündete in Schweigen und zeitigte eine schreckliche Tat. Hört die Worte aus dem 4. Kapitel des ersten Buch Mose:

Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.

Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.

Da ergrimmte Kain sehr und senkte seinen Blick. Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist´s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauer die Sünder vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.

Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: – Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.

Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel?

Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?

Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.

Kain aber sprach zu dem Herrn: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir´s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. Aber der Herr sprach zu ihm: Nein, sondern Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg von dem Angesicht des Herrn und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

 

Liebe Gemeinde,

einer von den beiden Brüdern der Geschichte sagt gar nichts. Abel ist bereits mit seinem Namen, der „Wind“ oder „Hauch“ bedeutet, der geborene Verlierer. Er hat nichts zu sagen. Kein Wort ist von ihm überliefert. Er ist der Schafhüter. In der Welt des alten Orients ist das der Erweis von Rückständigkeit. Der Ackerbauer, der sich sesshaft gemacht hat, Kain, dagegen ist der, der auf der Gewinnerseite des Lebens steht. Eva sagt schon bei der Geburt Kains, sie habe in ihm einen Mann gewonnen. Das verspricht Zukunft für sie und ihre Familie.

Doch beide Brüder können ihrer Arbeit nachgehen. Abels Schafherde warf gut. Er hatte Erfolg und konnte etwas Gott zum Opfer bringen. Auch Kain erging es nicht anders. Auch er konnte etwas von seinen Früchten Gott bringen. Zwei Brüder mit gleichen Voraussetzungen – oder etwa doch nicht?

Jedenfalls geschieht nun etwas Folgenschweres, das Kain das Genick bricht. Gott nimmt das Opfer seines Bruders an, seines nicht. Das löst sogleich eine Frustreaktion bei Kain aus. Und es bohrt die Frage: Warum, Gott, bin ich dir mit meinen Früchten etwa nicht genug?

Gott antwortet nicht auf diese Frage, so wie Gott sich auch unserer Fragen entzieht, wenn wir mit ihm rechten. Warum muss ich das jetzt durchmachen und der andere geht erhobenen Hauptes davon? Warum erleide ich Unrecht, der andere aber nicht? Dieses ewige Vergleichen mit dem Erfolg oder Misserfolg der anderen führt nur weiter in die Sünde, antwortet Gott. Es ist eine Gefahr. Darum spricht er Kain eine deutliche Warnung aus:

Warum senkst du deinen Blick? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.

Gott traut Kain Großes zu. Er straft nicht. Er reagiert verständnisvoll, menschlich. Der Gewinner des Lebens erfährt seine Grenzen an Gottes Allmacht. Gott sieht den Frust Kains. Aber er traut ihm zu, über die lauernde Sünde die Beherrschung zu behalten. Dieser Weg ist der kompliziertere.

Kain schlägt den vermeindlich einfacheren Weg ein. Im ersten Moment noch scheint es so, als ob er Gott antworten möchte: Da sprach Kain … – aber es ist nicht Gott, es ist Abel, sein Bruder, der Nichts, der Hauch, zu dem er spricht und dann doch nichts sagt.

Haben Sie´s gemerkt? Ich habe einen Satz aus der Geschichte weggelassen. In der Lutherbibel und in vielen anderen Übersetzungen heißt es, Kain sagte zu Abel: Lass uns aufs Feld gehen. Viele alte Textausgaben der Bibel kennen diesen Satz nicht. Es steht nach der Redeeinleitung ein gedachter Doppelpunkt und dann nichts. Beim Abschreiben hat man offenbar die Leerstelle füllen wollen, weil man das Schweigen der Brüder nicht ertragen hat. Der Kain unserer Geschichte aber sagte ursprünglich nichts.

Gesprächsabbrüche zwischen Geschwistern kommen immer wieder vor. Sie führen zum Glück nicht automatisch zu dem, was in der Geschichte folgt. Wo Worte fehlen, da nimmt das Schicksal seinen Lauf. Der von Gott und vom Leben enttäuschte Verlierer Kain bemächtigt sich des geborenen Verlierers. Am Ende gibt es keinen Gewinner. Das war absehbar.

Corona hat viele Verlierer geboren. Manche fragten sich immer wieder: Warum gerade wir? Warum müssen wir die Folgen tragen? Ist das gerecht? Andere tragen dafür den Gewinn davon.

Wie können wir mit dieser Ungerechtigkeit und mancher Frustration umgehen, ohne selbst zum Täter zu werden? Wie können wir leben, ohne selbst an uns zu verzweifeln in Frust oder anderen, denen es vermeintlich besser geht, die Schuld in die Schuhe zu schieben? Die Antwort ist die Antwort Gottes an Kain. Luther übersetzt mit „bleibe fromm! Dann kannst du frei den Blick erheben.“  Was heißt das: Fromm bleiben?

Liebe Gott und deinen Nächsten. So ist es im Doppelgebot der Liebe festgehalten, das in den Texten für diesen Sonntag im Zentrum steht. Auch Jesus wird es von den Schriftgelehrten unter die Nase gerieben, dieses Doppelgebot. Wir haben es in der Lesung gehört.

Gott zu lieben, auch wenn wir ihn anklagen müssen für erfahrenes Unrecht, fällt schwer. Warum sollten wir den lieben, der unser Tun wie das Tun des Kain nicht sieht? Stilles Abwarten auf bessere Zeiten und sich in das Schicksal fügen ist ja oft auch keine Lösung.

Herrsche über die Sünde. Das ist ein starker Satz. Gott traut uns viel zu. Er will, dass wir unsere Sündhaftigkeit erkennen und mit den Grenzen unserer Macht leben. Bleibe fromm bedeutet dann für mich ein Vertrauen zu haben, das auch einmal gegen den Widerschein der Sinnlosigkeit noch trägt. Dieses Gottvertrauen rechnet auch mit dem Nächsten, der anders ist als ich, aber dennoch ein von Gott geliebtes Geschöpf, dem ich mit Respekt begegnen kann.  

Wir sind verschieden, so verschieden wie Kain und Abel, die Brüder es waren. Was wäre gewesen, wenn sie miteinander ins Gespräch gekommen wären, sich etwas zu sagen gehabt hätten und miteinander ihren Frust geteilt hätten, der geborene Verlierer Abel und der vom Leben betrogene Verlierer Kain?

Was wäre gewesen, wenn sie einander ohne Angst stehen hätten lassen können, der Schafhirte, der mit seinen Tierherden umherzieht und der Ackerbauer, der sich sesshaft gemacht hat, ohne einen Gedanken darauf verschwenden zu müssen, wer von beiden das bessere Los im Leben erwischt hat.

Was wäre, wenn wir uns heute in unserer Verschiedenheit aushalten könnten unter Geschwistern, und einander Hüter sein könnten. Auch der Hüter Abel hätte in seinem Bruder einen Hüter verdient.

Das heißt: Den komplizierten Weg gehen und mit sich selbst versöhnt bleiben. Gott traut es uns zu. So kannst du frei den Blick erheben.

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.