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Gottesdienst am 19. September

Hören Sie hier die Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis von Pfr. Michael Grell.

 

Predigt

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

einer der weltbesten Geiger, Joshua Bell, nahm vor Jahren an einem Experiment der Washington Post teil. Als Straßenkünstler verkleidet, etwas heruntergekommen, spielte er mit seiner 3,5 Millionen teuren Stradivari-Violine in der Hand am Morgen inkognito in einer U-Bahn-Station in Washington. Er spielte 43 Minuten lang im morgendlichen Berufsverkehr Stücke von Johann Sebastian Bach und Franz Schubert. Ein paar Tage zuvor hat Joshua Bell ein Konzert mit ähnlichem Programm gegeben, die Karten waren nicht unter 100 Dollar zu haben. Als er sein Konzert im U-Bahnhof beendet, nimmt niemand davon Notiz. Niemand applaudiert. Das Experiment wird mit einer versteckten Kamera aufgezeichnet und ergibt folgendes Resultat: Von 1.097 Personen, die an ihm vorbeigingen, sind nur 7 stehengeblieben, um ihm zuzuhören, und nur eine hat ihn erkannt. Einige haben ihm Geld in den offenen Kasten geworfen, in der Summe 32 Dollar 17 Cent.

Wovon lasse ich mich berühren? Was rauscht einfach so an mir vorüber? Sehe ich die Schönheit der Dinge um mich herum? Wie blicke ich auf die Welt, in der ich alltäglich lebe?

Und: Ist´s in unseren Gottesdiensten nicht oft auch so? Rauscht das Gesagte, das Wort aus der Bibel, das Predigtwort einfach so an mir vorüber? Oder trifft es mich irgendwo und erkenne seine Schönheit und das was es für mich Gutes bereithält?

Ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem alttestamentlichen Büchlein der Klagelieder, einer kleinen psalmartigen Sammlung von Liedtexten der Bibel:

Die Güte des Herrn ist´s, dass wir nicht gar aus sind,
seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende,
sondern sie ist alle Morgen neu,
und deine Güte ist groß.
Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele;
darum will ich auf ihn hoffen.
Denn der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt,
und dem Menschen, der nach ihm fragt.
Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein
und auf die Hilfe des Herrn hoffen.
Denn der Herr verstößt nicht ewig;
sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder
nach seiner großen Güte.

 

Liebe Gemeinde,

ich weiß nicht, wie es Ihnen jetzt ging? Solche wohlklingenden Worte rauschen manchmal schnell an mir vorüber und ich weiß im nächsten Moment nicht mehr, was der Sprecher gerade gesagt hat. Dann ist es ein wenig so wie mit dem Geigenkonzert in der U-Bahnstation. Habe ich gerade etwas Wichtiges verpasst?

Predigtworte, Bibelworte wie die des Klageliedes verströmen oft einen Grundton der Hoffnung und Zuversicht. So ist es auch bei den herausgepickten Versen des Klageliedes, die unseren heutigen Predigttext bilden. Das, was zur Klage Anlass gegeben hat, habe ich jetzt nicht vorgelesen. Aber Sie dürfen gewiss sein, es war kein harmloser Anlass, vielmehr ein einschneidendes politisches Ereignis in der Geschichte Israels, das mit Krieg, Morden, Vergewaltigung und Vertreibung einherging. In dieser Situation war es den Menschen nicht zum überschwänglichen Lob Gottes zu Mute. Was sie jedoch, trotz allen erfahrenen Leides feststellen ist: Ja, wir sind aber doch noch da. Wir sind nicht ganz und gar aus, am Ende. Und: Offenbar ist auch Gott noch da. Seine Barmherzigkeit spüren wir trotz allen Leides.

Auch wir stimmen gerne Klagelieder an. Hier in der Hofer Region sind wir von Abwanderung betroffen, fehlende Wirtschaftskraft wird beklagt und die Frage gestellt: Welche Zukunft hat diese Region?

Im Blick auf die Zeit der Pandemie klagen wir über lange geschlossene Schulen. Das Vereinsleben ist zwar wieder erlaubt, unterliegt aber immer noch manchen Einschränkungen, so das wirkliche Begegnung wie früher immer noch nicht möglich ist. Manch einer traut sich gar nicht mehr aus seinem Schneckenhaus heraus. Er bleibt aus Vorsicht lieber zu Hause, weil so manche Situation da draußen ihn ängstigt.

Auch die Konfizeit bleibt eingeschränkt. Keine Freizeiten, Abstandhalten, beschränkt auf kleine Gruppen.

So manches Klagelied liegt auch uns auf der Seele. Das ist ungerecht. Warum trifft es uns? Hat das alles überhaupt einen Sinn?

Ja, aber wir sind ja noch da! Sehen wir nur das, was uns beschwert und belastet oder lohnt nicht doch ein Blickwechsel?

Manchmal spielt der Raum eine entscheidende Rolle. Die Geige entfaltet im Konzertsaal eine andere Wirkung als auf der Straße. Wir freuen uns, Gottesdienste im Garten feiern zu können, weil wir dort einen Rahmen vorfinden, der uns in eine besondere Stimmung und Aufmerksamkeit versetzt.

Als zu Beginn des Lampiongottesdienstes das letzte Licht der Dämmerung wich und die Beleuchtung des Gartens zur Geltung kam, dazu noch die Kirchenglocken einsetzten, hörte ich ein paar leise Seufzer: „Ach, schee!“ Da hat es vielleicht gar nicht mehr vieler Worte bedurft, da war schon eine Rührung und Aufmerksamkeit da, die es ermöglichte die Schönheit des Lebens und der Dinge auch angesichts manch erfahrener Entbehrung der letzten Monate zu sehen.

Auch der abgeschlossene Kirchenraum mag solche Erfahrungen begünstigen. Da gibt es immer etwas, was man noch mit seinen Augen erkunden kann, wenn die Gedanken zu schweifen beginnen.

Ja, wir sind noch da! Gott hat uns noch nicht vergessen. Seine Treue gilt uns auch heute und hier.

Wir halten inne, so wie die Personen, die stehenbleiben und dem Geiger zuhören. Vielleicht hören auch welche zu, die einfach still vorübergehen und nehmen einen Fetzen einer Melodie mit in ihren Alltag. Wer weiß das schon.

Das Innehalten freilich gibt mehr Möglichkeit, auch die Schönheit des Lebens zu sehen. Ach schee! – wie die Musik spielte. Ach, das hat mir jetzt gutgetan, meiner Seele gutgetan, die Lieder zu singen. Ach, das Wort hat mich heute berührt.

Solche Momente kann man nicht erzwingen. Sie kommen von alleine. Auf einmal sind sie da. Oft, an Schlüsselpunkten unseres Lebens, haben wir ein besonderes Sensorium dafür. Wenn Menschen aus unserem Leben gehen oder wir neue kennen lernen, dann nehmen wir uns Zeit füreinander und für uns selbst. Da sind wir berührt und entdecken: Ja, wir sind nicht gar aus. Wir sind noch da!

Die Konfirmandenzeit, liebe Konfirmanden, kann so eine kleine Zeit des Innehaltens sein. Sie soll Zuversicht machen, dass Ihr in Eurem Leben nicht auf Euch allein gestellt seid. Die Familie ist da. Freunde sind da. Die Gemeinde ist da. Schule bleibt ein bestimmender Teil Eures Alltags. Gottes Treue ist da, auch wenn wir es nicht auf den ersten Blick sehen.

Im Besten Sinne gelingt es uns, die schönen Momente im Leben sehen zu lernen und wert zu schätzen. Das sind die Momente, wo Gottes Treue sich an uns in kleinen Dingen zeigt.

Die Krise der letzten beiden Jahre hat auch neue Ideen und Formate hervorgebracht. Wir feiern Gottesdienste im Garten. Wir sind flexibler geworden und nicht mehr allein an unser Kirchengebäude gebunden, auch wenn es uns wichtig bleibt.

Wenn wir persönlich zurückdenken, fallen uns gewiss auch ein, zwei gute Dinge oder Begegnungen ein, etwas Neues, das in dieser Zeit begann. Das wollen wir heute in unserem Herzen tragen und wertschätzen, wie es unser Leben bereichert hat.

Darin erweist Gott uns seine Treue täglich neu.

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.