
Warum sind die Weisen aus dem Morgenland weise? – Von der Weisheit der Weisen handelt die heutige Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias und von einer wenig bekannten Frau der Reformationszeit. Predigt von Pfarrer Michael Grell.
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
auf eigens organisierten Reisen sucht man sich ja auch gerne mal ein Ziel, das abseits der gewöhnlichen Touristenrouten liegt. Ein vager Hinweis in einem alten Reiseführer, ein Bild aus dem Internet, eine etwas umständliche Richtungsangabe genügen mir, um einmal etwas entdecken zu wollen, was man sonst links liegen ließe. Manchmal muss man sich von einem Ziel ja auch überraschen lassen.
Bewaffnet wie einst die Weisen mit Gold, Weihrauch und Myrrhe bin ich mit meiner Zettelsammlung, Navi und Foto auf der Suche nach dem, was sich hinter dem Stern verbirgt. Die Reisebegleiter müssen einfach mit, egal wie hoch da etwa das Gras auf dem Weg der Expedition ist und ob da einige Zecken lauern könnten.
Mit einer Lust auf Entdeckung und einem Grundvertrauen in ihre Weisheit um den sonderbaren Stern waren die drei aus dem Morgenland einst auch aufgebrochen. Wir in der evangelischen Kirche haben uns angewöhnt sie „Weise“ zu nennen. Denn von Königen, wie es die alte Legende weiß, ist in der Bibel nicht die Rede. Aber worin besteht eigentlich die Weisheit dieser Weisen?
Eine Antwort auf diese Frage versucht der Predigttext für den heutigen zweiten Sonntag nach Epiphanias zu geben. Er steht im ersten Korintherbrief im 2. Kapitel. Paulus schreibt:
Auch ich, meine Brüder und Schwestern,
als ich zu euch kam,
kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit,
euch das Geheimnis Gottes zu predigen.
Denn ich hielt es für richtig,
unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus,
ihn, den Gekreuzigten.
Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht
und mit großem Zittern;
und mein Wort und meine Predigt
geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit,
sondern im Erweis des Geistes und der Kraft,
auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit,
sondern auf Gottes Kraft.
Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen;
doch nicht von einer Weisheit dieser Welt,
auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen.
sondern wir reden von der Weisheit Gottes,
die im Geheimnis verborgen ist,
die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit
zu unserer Herrlichkeit,
die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat;
denn wenn sie die erkannt hätten,
hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.
Sondern wir reden, wie geschrieben steht:
„Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat
und in keines Menschen Herz gekommen ist,
was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“
Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist;
denn der Geist erforscht alle Dinge,
auch die Tiefen Gottes.
(1. Korinther 2,1-10)
Liebe Gemeinde,
die Weisheit der Menschen kann in die Irre führen. Sie ist begrenzt. Sie hat mitunter eine kurze Halbwertszeit. Das erleben wir gerade in diesen Zeiten besonders.
Aber wir machten es uns auch zu leicht, wenn wir einfach sagten: Die Weisheit der Welt ist ganz und gar nichtig. Ohne ein gewisses Wissen um die besonderen Sternkonstellationen wären die Weisen einst gar nicht aus der Fremde aufgebrochen. Paulus geißelt besonders die hohe Weisheit, die überredenden Worte der Weisheit. Es geht also darum, gegenüber den Korinthern nicht besserwisserisch Rechthaben zu wollen, sondern darum, eigene Erfahrungen mit Gott zuzulassen.
Eigene Erfahrungen mit Gott öffentlich zum Ausdruck zu bringen war lange Zeit nur Männern in der Kirche vorbehalten. Das lag auch an Paulus und seinem Korintherbrief. Deswegen müssen wir heute seine Worte auch gegen ihn selbst lesen.
Elisabeth von Meseritz war eine Frau aus adligem Hause. Sie wurde im späten Mittelalter, wie so viele Töchter aus adligem Hause Nonne in einem Kloster. Im Kloster Marienbusch lernte sie in jungen Jahren Latein und kam mit den Wissenschaften ihrer Zeit in Kontakt. Das war zu dieser Zeit in den Stadtschulen der Ratsherren nur Männern vorbehalten. Elisabeth lernte und wurde eine der Gelehrten und Weisen ihrer Zeit. Sie hatte Lust, Neues zu entdecken.
Als sie eines Tages im benachbarten Männerkloster mit einem Priester in Kontakt kam, begann sie in der Bibel zu lesen. Der Priester sagte: Du hast Latein gelernt. Also lies. Sie meinte: Die Schwester im Kloster sagt: Ich würde das nicht verstehen. Der Priester sagte: In Wittenberg lehrt ein Mönch, dass jeder Christ die Bibel lesen müsse. Sie begann mit dem Priester in der Bibel zu lesen, auch Luthers Schrift von der Freiheit eines Christenmenschen. Elisabeth von Meseritz, gerade einmal 16 Jahre alt, traf eine Entscheidung.
Sie las. Später folgte sie dem Priester mit Namen Johannes Bugenhagen nach Wittenberg. In seinem Haus lernte sie den Studenten Caspar Cruciger kennen. Der las auch die Bibel. Aber er interessierte sich auch für die Sterne, sah an den Himmel, weil er von den Schriften des Kopernikus fasziniert war, der behauptete: Die Erde kreist mit anderen Planeten um die Sonne. Die Erde steht nicht, wie man lange dachte, im Mittelpunkt der Welt. In der Bibel steht es aber so. Menschliche Weisheit – widerspricht sie der göttlichen?
Nein! Neue Entdeckungen, neue Erfahrungen muss man erst einmal zulassen. Nicht immer führen sie sofort zu einem neuen Ziel. So wie die Weisen aus dem Morgenland, die beim König Herodes landeten. Offenbar hatten sie sich verrechnet. Der Palast des Herodes war nicht ihr Ziel. Sie ließen sich von ihm weiterverweisen. Es war ein ziemliches Wagnis diesem Heimlichtuer zu vertrauen und nach Bethlehem zu gehen.
Und doch hatten sie sich nicht verrechnet. Der Stern war noch da. Einen Moment lang stand die Welt für sie still. Sie traten zu dem Kind, brachten ihre Geschenke und da geschah auch etwas mit ihnen.
Herr Christ, der einig Gotts Sohn,
Vaters in Ewigkeit,
aus seim Herzen entsprossen,
gleichwie geschrieben steht,
er ist der Morgensterne,
sein Glänzen streckt er ferne
vor andern Sternen klar;
… dichtet Elisabeth Cruciger. Die Nonne aus Pommern hat schließlich den Studenten Cruciger geheiratet. Sie fasste in geschliffene Worte, was sich auch an ihr selbst im Geist und der Kraft Gottes erwiesen hatte. Sie versuchte das Geheimnis der göttlichen Weisheit, die uns in dem Kind geschenkt ist, in Worte zu fassen:
für uns ein Mensch geboren ‚
im letzten Teil der Zeit,
der Mutter unverloren
ihr jungfräulich Keuschheit.
Den Tod für uns zerbrochen,
den Himmel aufgeschlossen,
das Leben wiederbracht.
(Link: Frauen der Reformation)
Die Welt stand still, als die Männer der Reformation diesen Text lasen. Es war gar keine Frage. Er wurde sofort in das erste Gesangbuch der Reformation aufgenommen. Verfasser unbekannt. Eine Frau als Verfasserin? Unmöglich!
Dieses weltliche Geheimnis ließ sich aber nicht lange unter dem Deckel halten. Schon wenige Jahre später wird ihr Name genannt werden. Elisabeth Cruciger. Einmal träumte sie, sagt sie, sie stehe auf einer Kanzel und predige. Das blieb damals freilich undenkbar. So kritisch las man den Paulus damals nicht. Aber kein Traum bleibt ohne einen tieferen Sinn.
Die Weisen träumen. Im Traum erhalten sie eine Weisung. Ihr Erlebnis an der Krippe behalten sie erst einmal für sich. Sie werden es nicht mit dem Heimlichtuer Herodes teilen. Sie lassen sich nicht zu bloßen Kundschaftern dieses weltlichen Herrschers degradieren. Denn sie haben die göttliche Weisheit selbst entdeckt, die von diesem Kinde ausgeht. In dieser Weisheit gehen sie ihren eigenen Weg unbeirrt weiter.
Diese göttliche Weisheit, die sich ihnen gezeigt hat in dem Kinde, von der wollen sie auch öffentlich reden. Die alte Legende erzählt davon, dass sie hinausgingen und zu Botschaftern Christi wurden in aller Welt.
Wer sie erfahren hat – die Weisheit Gottes – der wird von ihr nicht schweigen wollen. Er wird wie Elisabeth im Traum auf die Kanzel steigen wollen und öffentlich davon reden wollen. Oder er wird davon anderen schreiben wie einst Paulus den Korinthern mit Leidenschaft schrieb.
Nicht mit besserwissender Haltung, sondern aus der tiefen Erfahrung: Gott rettet auch in den Tiefen des Lebens. Gott rettet in Gefahr. Dafür ist der Christus geboren und ans Kreuz gegangen, dass er unser Leben teilt und uns rettet aus aller Not. Auch die Weisen wurden gerettet. Die „Operation Bethlehem“, die Herodes mit ihnen vorhatte, war für sie brandgefährlich. Sie aber blieben bewahrt und wurden von dem Geist des göttlichen Kindes angesteckt.
Eine Expedition ins Ungewisse zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht genau weiß, ob man findet, was man sucht. Durch hohes Gras, an alten Bahnschienen entlang, stiegen wir in Pommern auf eine kleine Anhöhe. Hinter Büschen und alten Bäumen verbarg sich ein aus Backstein gemauerter Bogen einer Wand. Eine Ruine nur. Das kleine, überschaubare Plateau war aber sichtbar einst von Hand angelegt worden, auch wenn es nunmehr überwuchert war. Hier stand einst das Kloster Marienbusch, nahe der Kleinstadt Treptow an der Rega. Außer uns war niemand da. Es war eine geheimnisvolle Stille. Wir lasen das Lied Elisabeth Crucigers. Wir spürten an diesem von der Welt verlassenen Ort die Zeit stille stehen und den Geist Gottes wehen.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Bild: Ruine Kloster Marienbusch bei Treptow an der Rega, 2018.
Zum Weiterlesen: Die Dichterin Elisabeth Cruciger, geb. von Meseritz (1504-1535), in: Ursula Koch, Die gelebte Botschaft. Frauen der Reformation, Hamburg 2011, Seiten 30-33. – Dieses Büchlein dürfte in einigen Haushalten vorhanden sein, da es von uns einmal als Mitarbeitergeschenk verteilt wurde.