
Es gibt Momente, die verändern alles. Eine Diagnose bricht voller Unheil ins sicher geglaubte Leben ein. Hiskia, König von Israel, erfährt das am eigenen Leib. Hören Sie heute eine alte, aber zeitlose Geschichte. Man muss sich wundern, dass sie erst jüngst in die Predigtreihe aufgenommen wurde.
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
zur Ausbildung von Ärzten gehört auch das Seminar „Überbringen schlechter Nachrichten.“ Situationen, in denen ausweglose Diagnosen dem Patienten vermittelt werden müssen, kommen im Berufsalltag immer wieder einmal vor. Dass die Nachricht sensibel überbracht werden will, steht heute außer Frage. Gleichwohl wird es nicht selten vorkommen, dass Patienten im ersten Schock davon gar nicht viel mehr wahrnehmen können. Zumal, wenn die schlechte Nachricht aus heiterem Himmel kommt.
Hört den heutigen Predigttext aus dem Buch Jesaja im 38. Kapitel:
Zu der Zeit wurde Hiskia totkrank. Und der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz, kam zu ihm: So spricht der Herr: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben. Da wandte Hiskia sein Angesicht zur Wand und betete zum Herrn und sprach: Gedenke doch, Herr, wie ich vor dir in Treue und ungeteilten Herzens gewandelt bin und habe getan, was dir gefallen hat. Und Hiskia weinte sehr. Da geschah das Wort des Herrn zu Jesaja: Geh hin und sage Hiskia: So spricht der Herr, der Gott deines Vaters David: Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen. Siehe, ich will deinen Tagen noch fünfzehn Jahre hinzulegen. (Jes 38,1-5)
Dies ist das Lied Hiskias, des Königs von Juda, als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war:
Ich sprach: Nun muss ich zu des Totenreiches Pforten fahren in der Mitte meines Lebens, da ich doch gedachte, noch länger zu leben. Ich sprach: Nun werde ich den Herrn nicht mehr schauen im Lande der Lebendigen, nun werde ich die Menschen nicht mehr sehen mit denen, die auf der Welt sind. Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden. Tag und Nacht gibst du mich preis; bis zum Morgen schreie ich um Hilfe; aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe; Tag und Nacht gibst du mich preis. Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen verlangend nach oben; Herr, Ich leide Not, tritt für mich ein! Was soll ich reden und was ihm sagen? Er hat´s getan! Entflohen ist all mein Schlaf bei solcher Betrübnis meiner Seele. Herr, lass mich wieder genesen und leben! Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück. Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue; sondern allein, die da leben, loben dich, so wie ich heute. Der Vater macht den Kindern deine Treue kund. Der Herr hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben im Hause des Herrn! (Jes 38,9-20)
Liebe Gemeinde,
der Prophet Jesaja redet nicht lange herum. Er kommt gleich zum Punkt, als er beim König Hiskia vorspricht: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben. Wie zur Bekräftigung sagt er dasselbe gleich zweimal mit unterschiedlichen Worten. Es gibt kein Auskommen.
Das ist nicht nur eine schlechte Nachricht über die kaum bestehenden Heilungschancen einer schweren Krankheit. An anderer Stelle ist in Alten Testament von einem Geschwür die Rede, das Hiskia plagte. Es ist hier auch gleich angekündigt, dass der König nicht mehr viel Zeit haben wird. Da steht zwar nicht wie lange noch, aber es schwingt doch mit, dass es gut wäre, für den Fall der Fälle bald zu sorgen.
Wer immer eine solche Nachricht erfahren hat, den wird sie im ersten Moment in eine Schockstarre versetzt haben. Und wenn wir solches zum Glück nicht bereits am eigenen Leib erfahren haben, so können doch die allermeisten mitempfinden, welche Betroffenheit eine solche Nachricht auch bei ihnen auslöst. Ganz besonders gilt dies, wenn in der Mitte des Lebens oder gar in frühen Jahren solche Diagnosen hereinbrechen.
Damit hatte Hiskia nicht gerechnet. Er wusste zwar um seine Situation, aber dass es so um ihn steht, löst in ihm große Traurigkeit aus. Sein Blick geht zur Wand. Als ob von dort eine Antwort zu erwarten wäre auf seine Fragen, die er im ersten Moment der Schockstarre noch gar nicht sortieren kann. Dem Blick des Propheten kann er nicht standhalten. Und auch dieser hat offenbar kein Interesse an einem weiteren Gespräch. Er ist schnell wieder weg.
Dann blickte sie zur Wand, weil ihr die Frage unangenehm war. Weil sie keine Antwort geben konnte. Weil sie jetzt lieber alleine mit sich gewesen wäre. Aber der Seelsorger sitzt noch da. Schwer auszuhalten für sie. Aber auch für ihn, an dem das Leid, das er mit spürt, nicht spurlos vorüber geht. Einen Moment lang herrscht Stille. Starren auf die Tapete. Die Frage: Warum gerade ich?
Im Lied Hiskias finden wir drastische Worte und Bilder: Meine Hütte ist abgebrochen und weggenommen. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden. Auch verzweifelte Hilferufe erscheinen: Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen verlangend nach oben. Woher kommt die Hilfe, wenn menschliches Können, so gut es auch ist, an ihr Ende kommt?
Hiskias Lied ist eine einzige Klage an Gott. Tag und Nacht gibst du mich preis. Und ich gedachte noch länger zu leben. Und doch ist es auch ein Dankgebet, in dem er Gott für seinen Trost lobt. Aber wo ist da der Umschwung? Gibt es überhaupt einen Punkt, an dem man bei Hiskia Gottes Eingreifen festmachen kann?
Auch bei genauerem Hinsehen ist der nicht zu erkennen. Es ist wie wenn uns dieses Lied einmal als Klagelied, ein anderes Mal als ein Danklied ansehen würde. Wie in einem Kipp-Bild, bei dem man mal die Vase, ein andermal die beiden Gesichter sieht. Es springt hin und her.
Die Gefühle fahren Achterbahn. Mal findet man sich ein in sein Schicksal, mal möchte man dagegen rebellieren und das Leid hinausschreien. Siehe um Trost war mir sehr lange bange.  Und dann wieder: aber du hast dich meiner Seele herzlich angenommen.
All das lässt sich nicht willentlich steuern. Es ist mal so, mal anders. Und das manchmal ganz schnell aufeinander. Wie bei der Kippfigur. Auch da können wir es nicht steuern, welche Figur wir gerade sehen. So wechseln sich Zuversicht und Klage ab. Mal überwiegt das eine, mal das andere. Im Bild der Kippfigur gesprochen, gibt es das eine auch nicht ohne das andere. Es ist also das Zutrauen, die Zuversicht immer auch da gewesen, auch wenn wir sie gerade nicht wahrnehmen können.
Hiskia findet zu Worten des Gebets. Sie sind schon da, müssen neu in Erinnerung gerufen werden, aber sie können tragen. So finden auch Sterbende oft Trost in einem vertrauten Liedvers. Die Worte sind schon da. Wenn sie selbst nicht mehr gesprochen werden können, dann ist es gut, wenn andere sie am Sterbebett sprechen oder zum Klingen bringen.
Beten heißt vertrauen in Gott haben. Bei Hiskia kommt es zu einer wundersamen lebensverlängernden Heilung. Eine längere Lebenszeit ist ihm noch geschenkt. Das geschieht nicht immer, aber wo es geschieht, da ist das Leben verändert. Da überwiegt die Dankbarkeit für jeden Tag, der einem geschenkt wurde. Da sieht man das Leben mit anderen Augen.
Singen und Musizieren trägt durch schwere Zeiten. Solange wir leben, singt Hiskia in seinem Lied. Solange wir leben, Gott danken und loben, auch wenn wir viel mehr zu klagen hätten. Beides hat Gott uns gegeben, die Klage und das Lob. Solange beide zusammenbleiben, kann die Sprachlosigkeit der ersten Schrecksekunde überwunden werden.
Als der Seelsorger aufstand und gehen wollte, sagte sie: „Schön, dass sie jetzt da waren und zugehört haben und ein Gebet mit mir gesprochen haben. Manchmal fehlen mir nämlich die Worte.“
Beten hält alles zusammen. Es lehrt das Vertrauen in Gott neu entdecken. Ganz besonders dann geschieht dies, wenn es uns verloren zu sein scheint. Wer betet, nimmt sich der Klage an. Gerade dadurch kann Zuversicht neu wachsen.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.