
Gedenke daran, was Gott Dir Gutes getan hat. – Predigt zum Erntedankfest 2022 von Pfarrer Michael Grell.
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
Normalität ist in diesem Sommer trotz der Pandemie wieder eingekehrt. Die Möglichkeit, sich in größerem Rahmen bei Festen und Veranstaltungen wieder zu treffen haben wir genießen dürfen. Wir haben es fast schon haben wieder vergessen, wie es die Jahre zuvor war.
Zum Erntedankfest sind wir wieder einmal hier in der St. Leonhardkirche. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden haben nach zwei Jahren Pause wieder gesammelt. Die Erntegaben sind auch in diesem Jahr wieder vielfältig, auch wenn die Hitze manches zunichte gemacht hat.
Trotz zahlreicher trüber Wolken am Horizont sind wir auch in diesem Jahr dankbar. Dankbar kommen wir heute hier herein vor den Altar unsrer Kirche. Gott zu danken ist ein uraltes geistliches Bedürfnis. Das alte Israel kannte gleich mehrere Erntedankfeste im Jahr. Auf eines dieser Feste bezieht sich unser heutiger Predigttext. Er steht im 5. Buch Mose, im 8. Kapitel, die Verse 7 bis 18:
Mose sprach zum Volk:
Der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land,
ein Land, darin Bäche und Quellen sind
und Wasser in der Tiefe,
die aus den Bergen und in den Auen fließen,
ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke,
Feigenbäume und Granatäpfel wachsen,
ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt,
ein Land, wo du Brot genug zu essen hast,
wo dir nichts mangelt,
ein Land, in dessen Steinen Eisen ist,
wo du Kupfererz aus den Bergen haust.
Und wenn du gegessen hast und satt bist,
sollst du denn Herrn, deinen Gott, loben
für das gute Land, das er dir gegeben hat.
So hüte dich nun davor,
den Herrn, deinen Gott zu vergessen,
sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte,
die ich dir heute gebiete, nicht hältst.
Wenn du nun gegessen hast und satt bist
und schöne Häuser erbaust und darin wohnst
und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold
und alles, was du hast, sich mehrt,
dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt
und du den Herrn, deinen Gott, vergisst,
der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft,
und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste,
wo feurige Schlangen und Skorpione
und lauter Dürre und kein Wasser war,
und ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen
und speiste dich mit Manna in der Wüste,
von dem deine Väter nichts gewusst haben,
auf dass er dich demütigte und versuchte,
damit er dir hernach wohltäte.
Du könntest sonst sagen in deinem Herzen:
Meine Kräfte und meiner Hände Stärke
haben mir diesen Reichtum gewonnen.
Sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott;
denn er ist´s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen,
auf dass er hielte seinen Bund,
den er deinen Vätern geschworen hat,
so wie es heute ist.
Liebe Gemeinde,
hier wird nach dem Essen das Dankgebet gesprochen. Wir kennen das Tischgebet vor dem Essen. Wenn der Magen noch leer ist, da ist die Erinnerung an die Not noch wach. Hier aber wird das Dankgebet, wie im jüdischen Ritual auch heute noch, als Gebet nach dem Essen gesprochen. Dann, wenn man satt ist und der Magen voll: wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.Â
Ja, wir haben auch in diesen Zeiten des drohenden Mangels noch immer Vieles im Überfluss. Wenn man satt ist, fällt die Erinnerung schwerer als mit dem leeren Magen. Das ist eine alte Erfahrung. Da vergisst man schnell, den Schöpfer zu loben. Daher erinnert uns dieser alte Text daran: Hüte dich – gerade dann – davor, den Herrn, deinen Gott zu vergessen. Es soll gerade im gelobten Land, von dem hier in höchsten Tönen geredet wird, nicht vergessen werden, dass es dem Volk Israel in der ägyptischen Gefangenschaft und Fronarbeit schlecht ging.
Eine Erinnerung an frühere schlechte Zeiten, die Kriegszeit und Nachkriegszeit, haben einige von uns noch. Es werden immer weniger. Diese Erinnerung steckt gewissermaßen drinnen in ihnen, ihrem Verhalten, ihrem Lebensstil und -verständnis. Die Not, der Hunger, das Wenige, das man teilte. Auch die Hoffnung, es mögen nie wieder solche Zeiten kommen, steckt in der Erinnerung. Das gute Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt ist die Kehrseite dieser Erinnerung an die schlechten Zeiten.
Kommen solche schlechten Zeiten wieder? – Sind sie gar schon da? Wo Getreide zum Spielball wird, ist die Zündschnur gelegt, dass die Ärmsten schnell nicht mehr genug zum Essen haben. Wenn die Rohstoffe abgedreht werden, dann sind die schönsten Häuser genauso betroffen wie die kleinen Hütten. Darum, so heißt es in dem alten Text, hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebe und du den Herrn, deinen Gott, vergisst.Â
Gemeint ist damit nicht die moralische Lehre nach dem Motto: Weil Du nicht genug vertraut hast, geschieht es Dir jetzt so und so. Gemeint ist damit vielmehr die Erinnerung daran, dass Gott auch in früheren schlechten Zeiten das Blatt gewendet hat. Daran soll immer und immer wieder erinnert werden. Daran kann gar nicht oft genug erinnert werden. Er hat sein Volk aus der langjährigen ägyptischen Sklaverei in die Freiheit geführt. Er hat es geleitet in ein Land, in dem es gut leben konnte, auch wenn nicht alles im Detail so war, wie man es sich in seinen kühnsten Hoffnungen ausgemalt hatte. Gott hat das Leben erneuert und Kraft geschenkt für einen Neuanfang.
Es ist nicht die eigene Kraft allein, auf die wir vertrauen können. Wir merken, dass wir irren und Fehler machen. Wir begeben uns in Abhängigkeiten, weil es bequem ist, wissen aber auch, dass sie uns schaden können. Selbst wenn wir überzeugt sind, dass es heute der Beste Weg ist, kann es sich später als Fehler erweisen. Gegenseitige Schuldzuweisungen führen nicht weiter.
Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. So selbstgewiss und überheblich will keiner sein, auch wenn wir schon wissen, was wir können und wie wir unser Geld verdienen. Das schon. Aber es bleiben noch immer so viele Dinge, die wir nicht beeinflussen können. Da sind Umstände, die unser Leben ändern und die wir nicht in der Hand haben. Wir erfahren, dass unser Leben nicht so sicher ist, wie wir es dachten. Darum gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist´s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen.
Dieses Gedenken lebt im Erntedank jedes Jahr aufs Neue. Wir säen und tun das Unsere dazu. Doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand. Wir planen Projekte, doch so vieles hängt davon ab, wie Menschen miteinander diesen Plan gemeinsam erfüllen und welcher Geist dabei weht. Wir lehren Kinder und Jugendliche, was man wissen muss und wie man lernt, doch so viel mehr lernen sie durch das Beispiel und Vorbild unserer Person. In alledem wirkt der eine Gott im besten Sinne: unsichtbar, mit seinem Geist, persönlich. Er hält seinen Bund, wie er es den Vätern geschworen hat und so wie es heute ist. Diese Zusage übersteigt unsere kleine Zeit. Sie gilt von Generation zu Generation neu. Sie gilt auch heute und in diesem Jahr.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.